Nobelpreis für Physik Gravitationswellen eröffnen neues Verständnis des Universums

Stockholm · Der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an drei US-Wissenschaftler, die maßgeblich an der Entdeckung von Gravitationswellen beteiligt waren. Sie haben das Tor zu einem neuen Verständnis des Universums geöffnet.

Physik-Nobelpreis 2017: Die Entdecker der Gravitationswellen
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Nobelpreis – die Entdecker der Gravitationswellen

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Foto: dpa, st ks htf

Rainer Weiss, Barry C. Barish und Kip S. Thorne sind die Namen der drei Physiker, die in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet werden. Für Experten indes ist das keine große Überraschung: Schon als im Februar 2016 Wissenschaftler bekannt gaben, dass sie mit dem sogenannten Ligo-Detektor Gravitationswellen nachgewiesen hätten, galt die Entdeckung als heißer Nobelpreis-Anwärter. Die Frage war nur, wer von den Hunderten beteiligten Wissenschaftlern aus 20 Ländern damit ausgezeichnet werden würde. Denn der Nobelpreis ist auf maximal drei Namen beschränkt.

Rainer Weiss ist vor ein paar Tagen, am 29. September, 85 geworden. Der Physiker wurde in Berlin geboren, seine Eltern flüchteten dann mit ihm vor den Nazis in die USA. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Detektoren verantwortlich, mit denen dann die Gravitationswellen gemessen wurden. Barry Clark Barish (81) baute das Ligo-Experiment auf, mit dem der Durchbruch gelang. Der theoretische Physiker Kip Stephen Thorne (77) war nicht nur an dem Experiment beteiligt, sondern er arbeitete unter anderem auch die Idee der Gravitationswellen weiter aus — die sich aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ableiten.

Und demnach ist Schwerkraft das Ergebnis einer Verzerrung der Raumzeit, der Verknüpfung der drei Dimensionen des Raumes mit der Zeit. Stellt man sich diese Raumzeit wie ein gespanntes Tuch aus Gummi vor, dann drückt eine massive Kugel dieses Tuch ein, und es entsteht eine trichterförmige Eindellung. Und dieser Trichter, diese Verzerrung der Raumzeit, ist das, was wir als Schwerkraft erleben.

Kommen sich zwei Massen, also zwei solcher Trichter, nun nahe, beginnt das Tuch aus Gummi zu schwingen: Es entstehen Gravitationswellen, die sich fortsetzen — indem sie die Raumzeit abwechselnd dehnen und stauchen. Es ist zwar ein nur schwacher Effekt, der aber messbar sein sollte. Das war vor rund 100 Jahren die Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. Tatsächlich wurden diese Wellen aber trotz mehrerer Experimente bis September 2015 nicht beobachtet. Die Wissenschaftler prüften dann die Daten aus dem Ligo-Experiment mehrfach, bevor sie Gewissheit hatten und im Februar 2016 das Ergebnis bekannt gaben.

Was ist nun das Ligo-Experiment?

Ligo steht für Laser Interferometer Gravitation Wave Observatory oder Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium. Ein komplizierter Name für einen recht simplen Aufbau: Ein Laserstrahl wird aufgespalten und zu zwei Spiegeln in vier Kilometer Entfernung geschickt. Die Laufwege der Laserstrahlen sind im rechten Winkel zueinander angeordnet. Dadurch werden die Dehnung und die Stauchung des Raumes durch die Gravitationswellen erfasst. Der Spiegel am Ende der jeweiligen "Laserbahn" reflektiert den Strahl, der dann zu einem Messinstrument umgeleitet wird. Kleinste Laufzeitunterschiede werden so erfasst und sind ein Beleg für die Gravitationswellen — wenn man alle Störungen durch die Erschütterung der Erde herausrechnet.

Der Aufbau ist so empfindlich, dass er auf einer Strecke bis zum nächsten Stern Alpha Centauri in knapp vier Lichtjahren Entfernung den Unterschied von einer buchstäblichen Haaresbreite messen könnte. Weil es zudem zwei solcher Versuchsaufbauten in den USA (Hanford und Livingston) in knapp 3000 Kilometer Entfernung gibt, konnte man 2015 auch umgehend die Daten vergleichen. Und tatsächlich: Im Abstand von nur sieben Millisekunden wurde das identische Signal an beiden Standorten gemessen. Der Nachweis für die Gravitationswellen war erbracht. Mehr noch: Die Daten decken sich sehr gut mit den Simulationen und Berechnungen für eine Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit 29 und 36 Sonnenmassen — vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis, wie es bei der Vorstellung der Preisträger hieß. Genauer gesagt: Es passierte in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung und zu einer Zeit, als sich auf der Erde gerade Einzeller zu mehrzelligen Organismen entwickelten.

Warum ist die Entdeckung von GravitatNnnnionswellen so bedeutsam?

Die Entdeckung öffnet ein neues Fenster ins Universum und ermöglicht uns ein besseres Verständnis der Natur des Kosmos: Nachdem Galileo Galilei vor mehr als 400 Jahren seine ersten Beobachtungen mit einem Fernrohr gemacht hat, blickte die Menschheit mit immer besseren Geräten immer weiter ins All und entdeckte neue kosmische Wunder. Es folgten Radio-, Infrarot- und Röntgen-Teleskope. Nun beginnt mit den Gravitationswellen-Detektoren eine neue Ära der Physik. Nicht nur Schwarze Löcher, sondern alle Vorgänge im Kosmos, bei denen große Massen involviert sind, lassen sich so unter die "Schwerkraft-Lupe" nehmen.

Mittlerweile wurden Gravitationswellen in mehreren Fällen gemessen und ist der US-Aufbau Ligo nicht mehr alleine: Mit Virgo gibt es seit August dieses Jahres auch in Europa einen Gravitationswellen-Detektor — bei Pisa in Italien. Und zusammen können sie auch dabei helfen, ein grundlegendes Problem der Physik zu lösen: Bislang ist es nicht gelungen, die Gravitation in die Quantenphysik einzubauen. In den Detektoren und ihren Ergebnissen könnte der Schlüssel dazu liegen. Und noch bessere Messungen könnten uns etwas Neues, bislang kaum Vorstellbares über de Entstehung und die Struktur des Universums verraten. Sichtbar in den Daten und mit etwas technischen Einsatz sogar hörbar. Bei der Vorstellung der Nobelpreisträger konnten die Gäste nicht nur die Daten und Diagramme sehen, sie konnten sogar hören, wie Schwarze Löcher verschmelzen. Das Universum hat einen eigenen Sound, den wir hören können.

(jov)
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