Digitale Forschungsprojekte Wenn der Bürger zum Forscher wird

Berlin · Auf der Suche nach Wildschweinen, Buschwindröschen oder Sternenhaufen: Dank digitaler Möglichkeiten sind engagierten Laien kaum noch Grenzen dabei gesetzt, an großen Wissenschaftsprojekten mitzuwirken. Sie werden im Netz zu "Bürgerwissenschaftlern".

 Immer mehr Freiwillige machen bei den wissenschaftlichen Projekten mit.

Immer mehr Freiwillige machen bei den wissenschaftlichen Projekten mit.

Foto: dpa, bw_htf lof

Die einen nehmen sich eine Stunde Zeit und zählen vom Balkon aus Gartenvögel. Die anderen streifen regelmäßig durchs Umland auf der Suche nach blühenden Sumpfpflanzen. Wieder andere beschreiben Kunstwerke am Computer, oder sie strecken nachts ihr Smartphone gen Himmel, um die Helligkeit des Nachthimmels mit einer App zu messen. "Den einen, typischen Bürgerwissenschaftler gibt es nicht", sagt Maik Stöckmann vom Institut für Kulturlandschaftsforschung Kleks mit Sitz in Neubrandenburg. Seit einem Jahr arbeitet die bundesweite Plattform "buergerschaffenwissen.de" daran, die Vielfalt der Angebote zu bündeln.

Das Kleks beispielsweise erfasst - zunehmend überregional und digital - verschiedenste Kulturlandschaftsgüter, vom alten Wegekreuz bis zur historischen Baumallee. Daraus entsteht Schritt für Schritt eine umfassende geografische Datenbank. "Bei uns sind akribische, klassische Heimatforscher ebenso zu finden wie die jüngere Generation, die weniger Zeit hat und vom Spaziergang einzelne Schnappschüsse liefert", sagt Stöckmann.

Das gilt auch für "naturgucker.de", ein soziales Netzwerk für Naturbeobachter. Von Kranich- bis zu Krötenforen, vom Egerlingexperten bis zum Orchideenspezialisten ist dort alles zu finden. "Es klopfte an die Tür des Ferienhauses, wer war da? Das Ehepaar Rebhuhn. Der Hahn sah sich in der Scheibe und klopfte, was das Zeug hielt", schreibt dort eine Naturfreundin und erntet für die hochgeladenen Schnappschüsse der scheuen Vögel Lob aus der Community.

Deutlich stiller arbeiten die Bürgerwissenschaftler im "genealogienetz.de". Im Grabstein-Projekt fotografieren mehrere Hundert Freiwillige Grabsteine, um sie für Familienforscher und Nachwelt zu dokumentieren. "Besonders die alten Grabsteine bieten eine Fülle von Daten aus dem Leben unserer Vorfahren", betont Projektorganisator Holger Holthausen. Rund 2400 Friedhöfe aus ganz Deutschland sind bereits in der Datenbank zugänglich.

Zahl der Teilnehmer steigt

In Deutschland wächst die heterogene Schar derjenigen, die als Bürgerwissenschaftler oder Citizen Scientist Daten sammeln und diese über Plattformen teilen - als Grundlage für Forschungsarbeiten an Hochschulen oder um selbst damit zu arbeiten. Seit "buergerschaffenwissen.de" als Verbundprojekt verschiedener Forschungseinrichtungen und Institutionen an den Start ging, wurden dort über 40 Angebote - vom Einzelprojekt bis zur Sammelplattform - unter einem Dach vereint. Wie viele Freiwillige insgesamt daran teilnehmen, ist unklar. Klar ist jedoch: Es sind viele.

"Die Entwicklung ist weiterhin sehr erfreulich", bilanziert Wiebke Volkmann von Bürger schaffen Wissen. Neben den Naturwissenschaften machten nun auch zunehmend die Geisteswissenschaften mit. "Die Forschung öffnet sich den Laien." Diskutiert wird jedoch darüber, wie wissenschaftlich belastbar die Daten sein sollen, wie professionell sie gesammelt werden, und wem sie dann in erster Linie dienen.

Während manche Forscher Projekte bewusst so konzipieren, dass sie die Mithilfe eifriger Datensammler brauchen, wollen einige Bürgerwissenschaftler sich da gar nicht so gern einspannen lassen.
"Wissen ist auch Macht. Und solche Plattformen mit ihrem gebündelten Wissen sind ein Baustein für die Emanzipation des Bürgers", sagt Kleks-Vizevorstand Stöckmann - etwa mit Blick auf Entscheidungen für den Landschaftsplan oder den Stromtrassenbau.

Was in Deutschland noch recht neu ist, hat im englischsprachigen Raum schon Tradition. Vorbild für die Digital-Variante des Hobbyforschens ist dort die Plattform "Zooniverse", die seit Jahren Millionen von Klicks sammelt. Und die Community macht begeistert mit - zuletzt unter anderem bei einer großen Pinguin-Zählaktion in der Antarktis: Citizen Scientists werteten am heimischen Computer Fotos von Pinguinkolonien aus, die von Forschern der Oxford University installierte Kameras geschossen hatten. Nach wenigen Tagen schon waren Hunderttausende Pinguine markiert und gezählt.

(dpa)
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