Urknall-Experiment gelungen "Ein Schritt ins Unbekannte"

Genf (RP). Ein Meilenstein in der Physik: Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, Teilchen mit fast 300.000 km pro Sekunde aufeinander prallen zu lassen. In den Trümmern erwarten sie Informationen zum Aufbau des Universums.

Einer internationalen Wissenschaftlergruppe ist der erste Schritt zur Simulation der Zustände nach dem Urknall, der Geburtsstunde des Weltalls, gelungen. In einem Experiment am europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf ließen sie Wasserstoffteilchen mit einer Energie von 3,5 Tera-Elektronen-Volt (TeV) aufeinander zu rasen. Die Teilchen wurden in der 27 Kilometer langen Röhre tief unter der Erde damit auf das dreieinhalbfache dessen beschleunigt, was bisher auf der Erde möglich war ­ nahe Lichtgeschwindigkeit. In einer Sekunde fliegen sie elf Tausend Mal durch die Anlage.

Die Kollisionen sind der bisherige Höhepunkt des knapp sieben Milliarden Euro teuren und auf Jahre geplanten Experiments. "Das ist ein Schritt ins Unbekannte. Wir machen etwas, was noch kein Mensch zuvor getan hat”, sagte Cern-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci. In den weiteren Aufbaustufen soll der Energiegehalt der Teilchen beim Zusammenprall bis auf 14 TeV erhöht werden ­ damit kämen die Physiker näher in den Bereich dessen, was beim Urknall vermutet wird.

Auswertung wird Monate dauern

Die Trümmer aus dem Zusammenprall der Teilchen werden von vier unterschiedlichen Detektoren registriert und untersucht. Es wird Monate und Jahre dauern, bis die Forscher wissen, welche genauen Erkenntnisse das gelungene Experiment liefert. Nach einer Panne im September 2008 hatte der Teilchenbeschleuniger noch einmal für 30 Millionen Euro repariert werden müssen.

Zwei kleine technische Fehler hatten das Experiment gestern ins Stocken gebracht. Erst gab es Probleme mit der Energieversorgung, dann bremste ein Sicherheitssystem die Maschine irrtümlicherweise aus. Das Geschehen im Kontrollraum in Genf konnte weltweit via Internet verfolgt werden. 13:06 Uhr meldeten die Detektoren die erste erfolgreiche Kollision. "Einige der Kollisions-Ereignisse sind spektakulär. Die dritte Kollision, die ich auf dem Monitor gesehen habe, war unglaublich”, schwärmte US-Physiker Michael Barnett im Kontrollraum.

Forscher erwarten neue Elementarteilchen

Die Physiker interessieren sich besonders für die Zerfallsprodukte, die aus dem Zusammenprall entstehen. Sie erwarten viele neue Elementarteilchen, die bisher noch nicht beobachtet werden konnten. "Es ist möglich, etwas völlig Neues zu entdecken, das extrem wichtig für die Menschheit sein könnte”, sagte Cern-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci. "Wir werden das mehrere Male in der kommenden Woche wiederholen und hunderte Mal im Verlauf des Jahres.” 2012 soll dann die nächste Ausbaustufe des Teilchenbeschleunigers aufgebaut werden.

Das erste Ziel der Suche ist das so genannte "Higgs-Boson”, dessen Existenz bereits von 40 Jahren vorhergesagt wurde. Es ist ein wichtiger Bestandteil vieler Theorien zum Aufbau der Materie und zur Geburt des Universums, aber: Es wurde noch nie nachgewiesen ­ vermutlich war die Energie der bisherigen Experimente dafür zu niedrig. Noch spannender wird allerdings die Suche nach der sogenannten noch unbekannten "dunklen Materie”, die weite Teile des Universums ausmacht. Gegner des Experiments hatten deshalb vor den Folgen gewarnt. Es sei nicht absehbar, was bei diesen Versuchen entstehe ­ im schlimmsten Fall "schwarze Löcher”, die die Erde verschlucken.

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