Hilfarth Die Meister des Korbflechtens

Hilfarth · An der Rur liegen die Wurzeln des alten Handwerks: Im Rurtal-Korbmacher-Museum in Hückelhoven lernen Besucher die Geschichte des Korbflechtens kennen.

Wer zu Hause einen sehr, sehr alten Weidenkorb hat, der hat gute Chancen, dass dieser einst durch die Hände eines Hilfarthers gegangen ist. Durch die von Korbmachermeister Fred Krings zum Beispiel. Es ist Montagmorgen, und der 81-Jährige sitzt in der Scheune des Rurtal-Korbmacher-Museums und flechtet. Krings fängt mit dem Bodenkreuz an, denn das sei immer der erste Arbeitsschritt, wenn ein "65er-Waschkorb" entsteht. Gut drei Stunden dauert die Fertigstellung. Der Korb mit dem Durchmesser von 65 Zentimetern ist sein Lieblingsprodukt, sagt Krings, "weil der früher gutes Geld eingebracht hat". Mit kräftigen Handgriffen zieht er die Weide. Die Muskeln im Unterarm arbeiten. Kaum zu glauben, dass Krings sein Handwerk schon längst aufgeben musste, wie fast alle Korbmacher in Hilfarth.

Bereits bei der Einfahrt in das kleine Dorf im Kreis Heinsberg weist ein Denkmal auf die alte Tradition hin. Ein in Bronze gegossener Korbmacher sitzt auf dem Kreisverkehr am Ortseingang: Rund 200 Korbmacher lebten in den 1950er Jahren noch in Hilfarth. Eine unglaubliche Menge. Doch sie alle verloren ab 1960 ihren Beruf. Weil sich die Produktion zuerst nach Osteuropa, dann nach Fernost verlagerte. Weil die Produkte zu teuer wurden, "und weil Plastik das Naturmaterial nach und nach ersetzte", erklärt Fred Krings. Wenige Hundert Meter entfernt von dem bronzenen Denkmal aber lebt seit 2003 zumindest die Erinnerung an das alte Handwerk wieder - im Museum.

In einem ehemaligen Franziskanerkloster ist es beheimatet. Die früheren Korbmacher haben es - wie sollte es anders sein - mit ihren eigenen Händen errichtet. Und entstanden ist ein Ort, an dem Korbmachergeschichte nicht nur sichtbar und erlebbar, sondern auch dank typischer Geräusche zu hören ist. Eine steile Treppe führt hinauf zu den drei Themenräumen. Sechs Flechtarten sind darin zu sehen: die Wannmacherei, geschlagene Arbeit in Grau, geschlagene Arbeit in Weiß, Feinarbeit, Rahmenflechterei und Gestellbau. "Körbe und Wannen", sagt Heinz Knur, "das waren die Spezialgebiete der Hilfarther." Der Vorsitzende des Korbmacher-Vereins nimmt Besucher bei Führungen an die Hand. Knurs Vater war Korbmachermeister. Auf den Regalen stehen Waschkörbe, Mangelkörbe und Reisekörbe und ganz alte Fotos, die unter anderem seinen Vater zeigen. Setzt man sich hier oben in einen der gemütlichen Weidenstühle hinein oder schaukelt die handgemachten Kinderwiegen an, dann ist das so vertraute Ächzen des Materials zu hören. Die Weide arbeitet, wie Holz lebt das Naturmaterial und verändert sich mit der Zeit. Wirklich beeindruckend wird es dann im zweiten Raum.

Die "Feinarbeit" liegt hier aus. Heinz Knur öffnet die Tür der Glasvitrine. Ein Damenhut liegt darin. Und dieser Hut ist so fein gearbeitet, so akkurat geflochten, als hätte eine Maschine die kleinen Blumen aus Weide darauf gesteckt. Das aber ist ausgeschlossen: Bis heute gibt es keine Maschine, die die geübten Finger eines Meisters ersetzen könnte. "Solch schöne Arbeiten kann deswegen heute keiner mehr bezahlen. Das ist Kunst", sagt Knur. Ein noch tolleres Kunstwerk steht im Raum für Gestellbau. Jede Flechtart ist in die Anrichte eingearbeitet, die man am liebsten mitnehmen und im eigenen Wohnzimmer aufstellen würde. Japanisches Sechseckgeflecht, Sonnen- und Siebgeflecht - als hätte Meister Peter Hansen 1957 sein ganzes Können unter Beweis stellen wollen. Allein für dieses Kunststück hätte sich die Anreise nach Hilfarth schon gelohnt.

Im Museum gibt es keinen Verkauf, "aber wenn Sie sagen, dieser Korb gefällt mir, dann können Sie sich in zwei Wochen einen handgemachten abholen", sagt der Vorsitzende Knur. Ein mittelgroßer Korb koste rund 30 Euro. Die Nachfrage sei ja nach wie vor groß. Doch kein Korbmachermeister kann angesichts der Preise heute noch von dem Handwerk leben.

Früher prägten Weidenfelder das Landschaftsbild der Region. Die Arbeit bestimmte den Jahreskalender. Davon erzählt die Chronik, die im Schuppen des Museums hängt: Nach der Ernte Ende Februar wurden die Weiden auf Plätze gestellt. Und waren die Weiden schälfähig, schallte es durch ganz Hilfarth: "Die Weiden sind gut!" Nach der mehrstündigen Trocknung wurden die dünnen Ruten gebündelt. Eine Zeit, in der Hilfarth "das weiße Dorf" genannt wurde, wenn Bündel von Weiden an den Häusern lehnten. Die härteste Zeit des Jahres begann, denn jede Hand wurde gebraucht. Alle Kinder bekamen Weidenschälferien. Erst später erleichterte die Weidenschälmaschine die Arbeit. Zwei Exemplare gibt es ebenfalls im Museum zu sehen.

Der Korbmacherverein importiert Weide zwar aus dem europäischen Ausland, ein kleines Weidenfeld ist im Garten aber trotzdem angelegt worden. Anfang Mai, beim Weidenschälfest in Hilfarth, da ist der alte Beruf so präsent wie zu keiner anderen Zeit des Jahres. "Der Duft aus meiner Kindheit zieht beim Weidenschälfest wieder durchs Dorf", sagt Heinz Knur.

Fünf Jahrzehnte Geschichte und die zweistündige Tour sind wie im Flug vergangen. Krings ist schon so weit. Der "65er Waschkorb" ist fertig.

Info Die Serie, eine Kooperation des "General-Anzeigers" in Bonn, der "Kölnischen Rundschau" und der "Rheinischen Post", erscheint auch als ein 156-seitiges Magazin (9,80 Euro/versandkostenfrei) am 21. August. Es kann unter 0211 505-2255 oder www.rp-online.de/landpartie-magazin vorbestellt werden.

(ball)
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