Berlin Die Kunst der DDR

Berlin · Eine Reise nach Berlin lohnt sich gerade wegen einer bemerkenswerten Schau im neuen Museum Barberini - und weiterer Ausstellungen.

Bei Trak Wendisch jongliert ein clownesker Seiltänzer quer durchs Bild und behauptet sich gegen alle Widerstände der Welt. Wolfgang Mattheuer blickt aus dem Fenster seines Ateliers in die graue Industrielandschaft und glaubt seinen Augen nicht zu trauen: Hockt doch da ein Mann auf einem riesigen Vogel und fliegt in die Freiheit. Willi Sitte spielt mit der Kunst-Moderne und malt im Stile von Picasso eine in kubistischen Farbflächen vielfältig schillernde Frau. Kein sozialistischer Realismus, keine roten Fahnen, keine heroischen Arbeiter: Der reale Sozialismus der DDR, Arbeiter-Staat und Einheits-Partei, der gesellschaftliche Auftrag, mit der Kunst die Werktätigen zu unterstützen und die Zukunft zu gestalten, all das scheint fern. Und ist doch allgegenwärtig. Denn all die Bilder, die jetzt im Potsdamer Museum Barberini unter dem Titel "Hinter der Maske. Künstler in der DDR" gezeigt werden, sind nicht wegen ihrer eher mittelmäßigen Qualität von Interesse. Sondern weil sie bezeugen, dass es auch Bilder, Fotografien und Skulpturen des Eigensinns und privaten Widerstands gab. Intime Fantasien, in denen die Gesellschaft und das Politische allenfalls als aufmüpfige Leerstelle und bewusste Verweigerung anwesend waren.

Software-Milliardär und Kunst-Mäzen Hasso Plattner, der aus seiner Privatschatulle die Rekonstruktion der im Krieg zerbombten Barock-Villa bezahlte und hinter Potemkinschen Fassaden sein Museum Barberini gründete, hat viele mächtige Verbündete. Als der neue alte Musentempel vor wenigen Monaten seine Pforten öffnete, gaben sich, in Anwesenheit von Kanzlerin Angelika Merkel, Politiker, Wirtschaftsbosse und Show-Größen die Hand. Jetzt, zur Eröffnung der Ausstellung über die weltflüchtigen und privaten Aspekte der DDR-Kunst, gibt sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ehre und meint, die Schau sei ein "Meilenstein" auf dem Weg der Deutschen zueinander: Die Verständigung über Kunst könne helfen zu erkennen, wie im jeweils anderen Teil des Landes gedacht und gearbeitet wurde. Ähnlich sieht das auch Hausherr Plattner, der bewusst DDR-Kunst sammelt, weil er meint, sie sei heute in den deutschen Museen unterrepräsentiert. Außerdem finde er, "dass die Menschen dort während der DDR-Zeit benachteiligt waren und nach der Wende nochmals ungerecht behandelt wurden."

Was wir in Potsdam zu sehen bekommen, sind 120 Werke von 80 Künstlern, unterteilt in verschiedene Themenkomplexe: "Malerbilder", in denen die Künstler über ihre Rollen nachdenken. "Spiegelungen", mit denen Künstler Zugänge zu ihrem Selbst suchen. "Gemeinschaftsbilder", in denen Gruppen und Kollektive nach Gemeinschaft und Vergewisserung fahnden. "Formexperimente", mit denen man nach den im Arbeiter- und Bauernstaat sonst so verpönten Begriffen wie Autonomie und Abstraktion strebt. "Maskenspiele", mit denen man sich künstlerisch verkleidet und verhüllt. Werner Tübke malt sich als einsamer Wander auf dem Weg nach dem sagenumwobenen Samarkand. Bernhard Heisig zeigt, dass in seinem Atelier die eine oder andere wüste Orgie gefeiert wurde. Willi Sitte setzt sich einen Schutzhelm auf und ironisiert sich als feist grinsender nackter Maler. Alle sind dabei. Keiner fehlt. Doch halt: Wo sind eigentlich (außer einem beiläufig eingestreuten Bild von R. Penck) all die Künstler, die dem sozialistischen Paradies den Rücken kehrten und sich - wie Georg Baselitz oder Gerhard Richter - lieber beim Klassenfeind im Westen künstlerisch weiter entwickeln wollten? Aber statt sich den Schattenseiten der Maskenspiele zu widmen, gräbt die Ausstellung lieber ein paar alte offizielle Schinken aus: Als Zugabe werden - frisch restauriert - 16 großformatige Gemälde aus dem inzwischen abgerissenen Palast der Republik gezeigt, wo sich, unter dem Motto "Dürfen Kommunisten träumen" die Maler-Elite der DDR ein Stelldichein gab. Dieselben Künstler, die eben noch privat herum alberten und fröhliche Feten feierten, zeigen hier ihre unverbrüchliche Staatstreue.

Zwei weitere wichtige Ausstellungen in Berlin sind Wenzel Habliks Expressionistische Utopien und Ed Atikins "Old Food" im Martin-Gropius-Bau. Wenzel Hablik (1881-1934) verstand sich als Universalkünstler und wurde wegen seiner überbordenden Fantasie und genreübergreifenden Kunst von vielen belächelt. Er hat utopische Architekturmodelle entworfen und expressionistische Interieurs geschaffen, seine Bilder gleichen oft einer grell-bunten Farbflut. Im Martin-Gropius-Bau wird der fast vergessene Avantgardist jetzt mit einer großen Einzelausstellung wiederentdeckt.

Die Welt ist aus den Fugen, hier Überfluss, dort Mangel, hier Reichtum, dort Armut. Und überall nur Fäulnis und Verderben. "Old Food" heißt die Installation, die Ed Atkins eigens für Berlin geschaffen hat. Sie ist wahrlich eine ästhetische Zumutung und soziale Anklage. Doch was Atkins uns hier in unzähligen Videos zeigt und mit einem entlarvenden Blick für die Schönheit des Schrecklichen inszeniert, ist von aufrüttelnder Kraft und penetranter Dringlichkeit.

(RP)
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