Düsseldorf Der erste Stammbaum des Lebens

Düsseldorf · Elf Forschungseinrichtungen haben über Jahre am Stammbaum aller Lebewesen gearbeitet. Demnächst soll eine Software den Biologen dieser Welt helfen, sich im "Tree of Life" einzuloggen, um ihm Updates zu verpassen.

Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren entstand das Leben auf der Erde. Seitdem ist viel passiert. Tiere und Pflanzen kamen und verschwanden wieder, bis sich schließlich der heutige Bestand ausgebildet hatte, von dem Forscher immerhin 1,8 Millionen Arten ermittelt haben. Doch wie hängen die alle zusammen, wo sind ihre Ursprünge? Steht die Seekuh eher den Robben oder aber den Rindern nahe? Und wer sind die Vorfahren der milliardenstarken Bakterientruppen in unserem Darm? Aufschlüsse darüber gibt nun der erste umfassende Stammbaum zu allen Lebewesen dieser Erde.

Ein internationales Forscherteam hat über 7500 Studien und 500 Stammbäume ausgewertet, die zwischen den Jahren 2000 und 2012 zu den Verwandtschaftsbeziehungen der Arten veröffentlicht wurden. Wobei die große Anzahl der Publikationen noch das kleinste Problem war. Weitaus schwerer wog, dass viele Arten in den Studien unter verschiedenen Namen geführt werden, die sich dann auch im Laufe der Zeit wieder ändern können. So wird etwa die rote Fledermaus unter Lasiurus und Nycteris gelistet, und der Ameisenigel teilte sich seinen lateinischen Namen lange Zeit mit einer Gruppe von Muränen.

Außerdem lagen viele Stammbäume nicht in einem digitalen Format vor, das man mit in den übergreifenden "Tree of life" integrieren konnte. Da war dann viel Abschreiben, Abmalen und manuelle Texterfassung gefordert. Doch am Ende, nach drei Jahren Arbeit an insgesamt elf Forschungseinrichtungen, konnte man die einzelnen Puzzleteile zusammenfügen, und unter "http://opentreeoflife.org/" steht ihr Werk auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Studienleiterin Karen Cranston von der Duke University im amerikanischen Durham betont allerdings: "Betrachten Sie es als Version 1.0!" Denn der weltweit erste umfassende Stammbaum offenbare nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch viele Wissenslücken und etliche offene Fragen.

So weichen die Stammbaumäste der Erbsen- und Sonnenblumenfamilien von dem ab, was die meisten Experten eigentlich über die Abstammungslinien der beiden vermuten. Und andere Teile, vor allem bei den Insekten und Mikroben, wirken schwammig und unpräzise, weil dort eine gigantische Vielfalt herrscht. Allein im Insektenreich existieren 925.000 beschriebene Arten, deren verwandtschaftliche Beziehungen sich nur schwer ermitteln lassen.

Die Forscher arbeiten daher an einer Software, die es den Biologen dieser Welt ermöglichen soll, sich in dem "Tree of Life" einzuloggen, um ihm - wenn nötig - ein Update zu verpassen. "Unser Stammbaum ist noch lange nicht fertig", betont Cranston, "und es ist wichtig, ihn für Korrekturen und Ergänzungen offen zu halten". Einen Anspruch auf Vollständigkeit habe man ohnehin nicht - allein schon deshalb, weil von den zig Millionen Arten auf der Welt tatsächlich nur ein Bruchteil verzeichnet ist.

Die Forschungsarbeit wurde vor allem vom US-National Science Foundation gesponsert. Wobei man sich dort von dem Projekt nicht nur mehr Grundlagenwissen zur Entstehung der Arten erhofft. "Unsere Studie trägt auch dazu bei, neue Medikamente zu entwickeln, landwirtschaftliche Erträge zu steigern und die Herkunft und Verbreitung von Krankheiten wie Aids, Ebola und Grippe zu ermitteln", erklärt Cranston. Wer etwa genau wisse, wo das HI-Virus herkommt, könne es gezielter therapieren.

Das Wissen um die Verwandtschaft der Seekuh erscheint demgegenüber zweitrangig. Ihr nächster Verwandter ist übrigens - der Elefant.

(RP)
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