Düsseldorf Wenn eine Zwei minus als Ausrutscher gilt

Düsseldorf · Studenten, die in der Schule gute Noten hatten, sind im Studium häufiger enttäuscht, wenn die Bewertung schlechter als bisher ausfällt.

Großes Erstaunen, Erschütterung, Verwirrung und zum Teil sogar Tränen: Solche Reaktionen erlebt Melanie Möller, Professorin für Griechische und Lateinische Philologie an der Freien Universität Berlin, häufiger, wenn sie ihren Studierenden die Noten von Hausarbeiten oder mündlichen Prüfungen mitteilt. Und zwar nicht etwa nur, wenn jemand durchgefallen ist. "Schon eine Zwei minus löst traurige Verzweiflung aus. Und ganz oft höre ich dann den Satz: Ich hatte immer eine Eins, so etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Möller. Die Professorin hat nun bereits in drei Bundesländern gelehrt (NRW/Bielefeld, Baden-Württemberg/Heidelberg, Berlin) und immer dasselbe erlebt: Studenten, die auf vermeintlich schlechte Noten mit Überforderung reagieren, da sie von sehr guten Schul- und Hochschulnoten verwöhnt sind.

Kritik seien die jungen Frauen und Männer oft noch nicht gewöhnt. "Bei mündlichen Prüfungen ein paar unzusammenhängende Fakten herzuerzählen, reicht aber eben nicht. Und in den Hausarbeiten mangelt es am Ausdruck. Mittelmäßige Leistungen kann ich ja nicht mit einer Eins bewerten", sagt Möller, die selbst übrigens im Schnitt Noten im Spektrum Zwei bis Drei minus vergibt und offen zugibt: "Wenn ich merke, dass die Prüflinge sich große Mühe geben und sie ihre Intelligenz schon außerhalb der Prüfung unter Beweis gestellt haben, reagiere ich auch mal flexibel auf eine eher mittelmäßige Prüfungsleistung. Auf Dauer wirken Vieren und Fünfen - gerade in so anspruchsvollen Fächern wie Griechisch und Latein - natürlich demotivierend." Auf die Kritik reagierten die meisten Studenten nach behutsamen Erläuterungen durchaus mit Einsicht - in seltenen Fällen riefen aber auch erboste Eltern der verwöhnten Einser-Kandidaten an, oder die Studenten drohten mit Anwälten. "Ich versuche, die Studierenden zum Lesen anzuhalten, korrigiere viel und gebe Tipps für das Schreiben der Hausarbeiten", sagt die Professorin. Dass die Noten an den Hochschulen tatsächlich immer besser werden, zeigt auch der Arbeitsbericht zu Prüfungsnoten an deutschen Hochschulen des Wissenschaftsrates. Er berät die Bundesregierung und die Regierungen der Länder in allen Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Wissenschaft, der Forschung und des Hochschulbereichs, und besteht aus Hochschulprofessoren ebenso wie aus Politikern und Personen des öffentlichen Lebens. In den universitären Studiengängen ist beispielsweise der Anteil der mit "gut" oder "sehr gut" (also mit 1,0 bis 2,5) bewerteten Abschlussprüfungen im Untersuchungszeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2011 um knapp neun Prozentpunkte von 67,8 Prozent auf 76,7 Prozent gestiegen.

Die Note "gut" ist laut der Auswertung des Wissenschaftsrates mit großem Abstand die häufigste Note. Im Jahr 2000 lag ihr Anteil unter den bestandenen Abschlussprüfungen bei 48,5 Prozent. Seither ist dieser Anteil von Jahr zu Jahr gestiegen. 2011 erhielten 59,5 Prozent der Absolventen die Note "gut". Eine Note von mindestens "gut" ist nach vielen Prüfungsordnungen zum Beispiel erforderlich, um zum Master- oder Promotionsstudium zugelassen zu werden. Der Anteil der Prüfungen mit der Note "befriedigend" lag im Jahr 2000 noch bei 25,5 Prozent, 2011 nur noch bei 19,5 Prozent. Der Anteil von Prüfungen mit der Note "ausreichend" sank im gleichen Zeitraum von 4,3 auf 1,1 Prozent.

Möller kennt die Bereitschaft mancher Kollegen, gute Noten zu vergeben: "Irgendjemand findet sich immer, der die Eins gibt." Sie verweist aber auf die sehr unterschiedlichen Fachkulturen; das zeigt auch der Bericht des Wissenschaftsrates: Während der Anteil an sehr guten und guten Noten etwa im Diplomstudiengang Biologie 98 Prozent betrug, erreichten im juristischen Staatsexamen nur sieben Prozent eine bessere Note als "befriedigend". Sie sieht aber nicht nur die Hochschulen, sondern vor allem auch die Schulen in der Verantwortung: "Die Elternerwartung ist so gewaltig wie der Konkurrenzkampf unter den Schulen: Der Druck auf die Lehrer, gute Noten zu vergeben, steigt. Ich sehe in Abiturzeugnissen doch sehr häufig Einsen vor dem Komma."

Dabei fehle es den Schülern am nötigen Handwerkszeug, um an der Uni zu bestehen. Zudem seien die Studenten einfach sehr jung, es fehle an Entwicklung und an Bereitschaft zur Selbstkritik sowie an der Reife, Niederlagen zu verkraften. Sie versucht, ihre Studenten vom ständigen Leistungsdenken ein wenig abzulenken: "Sie sollen sich Zeit nehmen, sich mit einem Text zu beschäftigen. Es muss ja nicht immer alles sofort für den eigenen Erfolg instrumentalisiert werden."

(RP)
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