Christoph Lüdemann Lokale Lösungen für lokale Projekte

Der 29-Jährige hat das Entwicklungshilfe-Start-up L'appel gegründet. Nun ist Lüdemann als "Student des Jahres" ausgezeichnet worden.

Köln Christoph Lüdemann studiert Medizin und Wirtschaftswissenschaften. Nebenbei engagiert er sich für Hilfsprojekte in Sierra Leone und Ruanda. Dafür erhielt der 29-Jährige jetzt die Auszeichnung "Student des Jahres". Lüdemann konkurrierte mit bundesweit 105 Studierenden um die vom Hochschulverband und vom Deutschen Studentenwerk 2015 erstmals ausgeschriebene und mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung.

Herr Lüdemann, erzählen Sie uns von Ihrem Projekt. Schließlich hat Ihr Engagement Ihnen den Titel eingebracht, oder?

Lüdemann Wir sind ein Entwicklungshilfe-Start-up aus Köln. L'appel Deutschland steht für einen jungen, frischen und dennoch professionellen und reflektierten neuen Weg in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Das heißt?

Lüdemann Wir verbinden Bildung, Infrastruktur und Gesundheit. Drei Bereiche, auf denen Entwicklung langfristig aufbaut. Wir fördern lokale Lösungen für lokale Probleme und versuchen, Existenzen aufzubauen - in Ruanda und Sierra Leone. Uns ist wichtig, dass die verschiedenen Projekte voneinander profitieren und ganzheitlich funktionieren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Lüdemann In Sierra Leone bauen wir derzeit eine Boarding School, die voraussichtlich noch in diesem Jahr eröffnet wird und dringend benötigte Bildung ermöglicht.

Können Sie uns den Begriff Boarding School erklären?

Lüdemann Viele Kinder sind durch die Ebola-Epidemie zu Waisen geworden. Wir wollten ihnen einen Platz geben, wo sie leben und zur Schule gehen können. Die Boarding School ist eine Art Internat, die Kinder müssen aber nicht dort wohnen.

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, was die Menschen in Sierra Leone und Ruanda brauchen?

Lüdemann Das Gute ist, dass wir das nicht alleine entscheiden. Die Menschen im Land erzählen uns, was ihnen fehlt, und wir versuchen mit ihnen gemeinsam Projekte zu formen, die langfristig helfen. Natürlich stellen wir uns alle in diesem Kontext die Frage: Was wird verbessert? Wie können wir das sicherstellen?

Was fasziniert Sie an Ruanda und Sierra Leone? Wieso nicht Südafrika, Namibia oder Kenia?

Lüdemann Es gibt so viele spannende Orte auf dieser Welt. Aber wir mussten uns entscheiden und einfach anfangen. Die Gesellschaft in Ruanda schafft etwas Einzigartiges - nach einem schlimmen Bürgerkrieg in den 90er Jahren findet der Schulterschluss zwischen ehemaligen Feinden statt, um das Land gemeinsam wieder aufzubauen. Da kann man sich in Sachen Gemeinschaft einiges abschauen.

Wie finanzieren sie die Projekte? So eine Boarding School kostet doch sicher einen ganzen Batzen Geld?

Lüdemann Wir rechnen mit 350.000 Euro.

Und woher bekommen Sie das Geld?

Lüdemann Wir haben das Glück, mit Band Aid zusammenarbeiten zu können. Das Bandprojekt kennen Sie sicher - von Bob Geldof gegründet. Außerdem haben wir Kontakt zu Stiftungen, und private Spender unterstützen uns natürlich.

Wer hat Sie eigentlich für die Auszeichnung vorgeschlagen?

Lüdemann Tillmann Neinhaus, der ehemalige IHK-Chef des Mittleren Ruhrgebiets. Ich hätte nie gedacht, dass das klappt.

Was bedeutet es für Sie, den Titel "Student des Jahres" tragen zu dürfen? Hat sich in Ihrem Leben dadurch etwas verändert?

Lüdemann Der Titel ist eine tolle Bestätigung für unsere gemeinsame Arbeit der letzten Jahre. Für mich persönlich hat sich überhaupt nichts geändert. Ich freue mich über das gesteigerte Interesse an L'appel und über die vielen Glückwünsche von Menschen, die ich bisher nicht kannte. Das ist eher wie ein ganz langer Geburtstag.

So eine Bezeichnung macht sich doch sicher auch gut im Lebenslauf, oder?

Lüdemann Womöglich schon. Das müssen aber all jene beurteilen, die meinen Lebenslauf lesen möchten.

Und was sagen Ihre Freunde und Kommilitonen dazu?

Lüdemann Das Wunderbare an meinen Freunden ist, dass sie sich ganz einfach mitfreuen.

Bleibt für die Freunde überhaupt noch Zeit? Schließlich sind Sie Doktorand der Humanmedizin, Masterstudent in Wirtschaftswissenschaften und kümmern sich gleichzeitig um Menschen in Afrika. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

Lüdemann Manchmal ist es schon viel, aber es macht alles unheimlich Spaß. Zwei Studiengänge lassen sich besonders an der Universität Witten/Herdecke gut kombinieren, weil dort die Freiheit der eigenen Studiengestaltung großgeschrieben wird. Bei L'appel habe ich einen bärenstarken Co-Vorstand und ein super Team, so dass ich für das Wichtigste im Leben immer Zeit habe: Freunde und Fußball.

Was wollen Sie mal beruflich mit Ihren beiden Abschlüssen machen?

Lüdemann Im Augenblick plane ich nicht, beide Abschlüsse zu verbinden. Ich träume schon lange davon, für ein paar Jahre in den USA zu leben. Derzeit schaue ich mich nach Universitäten um, das ist aber gar nicht so einfach. Mein Ziel ist es, Arzt zu werden - das wird mich erstmal genügend fordern.

Werden Sie sich denn nach dem Studium noch für L'appel Deutschland engagieren (können)?

Lüdemann L'appel wird immer ein Teil von mir bleiben. Ob ich nebenberuflich so viel Zeit investieren kann wie jetzt, wird sich zeigen.

Ich bin neugierig, so viele Studenten des Jahres habe ich noch nicht kennengelernt. Was sind Ihre Hobbys? Haben Sie überhaupt noch Zeit für Hobbys? Welche Musik hören Sie, welche Filme schauen Sie gern? Machen Sie Sport?

Lüdemann Der Sport wird in letzter Zeit immer weniger - das muss sich ändern! Ich spiele sehr gerne Fußball und trinke ein Bier mit Freunden, genieße gutes Essen, lese (fast ausschließlich) Dürrenmatt und höre Musik, die zum Moment passt. Bei Filmen bin ich sehr schlecht.

Wie kommen Sie auf Dürrenmatt?

Lüdemann Nun, das muss in der Schule angefangen haben. Mit "Das Versprechen", glaube ich. Seither bin ich Fan.

Wie und wo wohnen Sie?

Lüdemann Ich wohne in einer Dreier-WG in Köln. Zusammen mit zwei meiner besten Freunde haben wir vor wenigen Wochen eine kleine Altbauwohnung in Nippes gefunden. Das wird das perfekte Domizil für die Lernzeit.

Haben Sie denn überhaupt Zeit, sich um den Haushalt zu kümmern, die Einkäufe, die Wäsche? Oder müssen das Ihre Mitbewohner für Sie übernehmen?

Lüdemann Das würde ziemlichen Ärger geben. Meine Wäsche und die Einkäufe erledige ich natürlich schön selbst.

Sie sind jetzt 29 Jahre. Wann werden sie mit ihrem Studium fertig sein, und wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Lüdemann Ich schreibe im Oktober mein Examen in der Medizin, dann folgt das Praktische Jahr. Währenddessen versuche ich meine Master-Thesis zu beenden. Somit sollte ich im Herbst 2017 mit allem durch sein. In zehn Jahren wäre ich gerne ein guter Arzt, und wenn es passt, ein stolzer Vater.

NICOLE SCHARFETTER STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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