Dozentenleben Karin Wilcke Eigentlich kann ich gar nichts

Sie sei ein hoffnungsloser Fall, sagt die Studentin. Sie hat demnächst den Masterabschluss im Fach Linguistik in der Tasche und weiß nicht so recht, wie es dann weitergehen soll. Viele Ihrer Kommilitonen haben die Zusatzqualifikation für "Deutsch als Fremdsprache" gemacht, aber Lehrerin will sie nicht werden. Und nun? Sie zuckt mit den Schultern: "Eigentlich kann ich gar nichts." Diesen Satz habe ich schon oft gehört, am häufigsten von Geisteswissenschaftlern.

Da mir aber noch niemals jemand über den Weg gelaufen ist, der am Ende eines Studiums wirklich nichts konnte, schauen wir in ihren Lebenslauf. Der Nebenjob im Büro einer Bio-Supermarktkette klingt nicht gerade spektakulär. Ach, da sei sie Mädchen für alles gewesen. Sie habe Koch- und Back-Rezepte auf die Internetseite gestellt, einen Einkaufsführer dazu geschrieben, Fotos vom fertigen Essen gepostet, Flyer getextet, was halt so anfiel.

Weil das aber ein bezahlter Job und kein Praktikum war, der auch nichts mit ihrem Studium zu tun hatte, hat sie ihn nicht ausführlicher beschrieben. Und damit steht sie nicht allein: die meisten Studenten glauben, dass spätere Arbeitgeber nur Praktika interessant finden, die auch so heißen, und lassen Joberfahrungen oder ehrenamtliche Arbeit unter den Tisch fallen. Dabei kann man gerade mit Nebenjobs oder sozialem Engagement, die oft Stressresistenz oder besondere Flexibilität verlangen, bei Arbeitgebern Punkte sammeln.

Hier liegt die Begabung fürs Texten und für die Sozialen Medien klar auf der Hand. Und das Netz ist voll mit Stellenausschreibungen für Social Media Manager. Aber das Schönste an dem Gespräch ist, das wir jetzt Beide wissen, dass wir auf keinen Fall gar nichts können.

(RP)
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