Düsseldorf Beglückender Tanzabend in Düsseldorf

Düsseldorf · B.16 ist die letzte Produktion der Saison. Martin Schläpfers "Nacht umstellt" gelang als Uraufführung.

 Ballettpremiere b.16 in der Rheinoper: Szene aus der Uraufführung "Nacht umstellt" von Martin Schläpfer.

Ballettpremiere b.16 in der Rheinoper: Szene aus der Uraufführung "Nacht umstellt" von Martin Schläpfer.

Foto: Gert Weigelt

Auf Spitzenschuhen wie eine Ballerina über den Boden zu schweben, das ist der Traum vieler Mädchen. Und dann kommt einer wie Martin Schläpfer, der aus dem klassischen Bewegungsrepertoire Stücke schafft, in denen auch die Männer Spitze tanzen. Doch die Körper verlieren nicht ihre Erdenschwere, sondern bewegen sich wie auf Stelzen, was durch die gezielte Beleuchtung der Schuhe noch auf die Spitze getrieben wird.

Düsseldorfs Chefchoreograph und seine Compagnie bewegen sich bei der Uraufführung von "Nacht umstellt" in anderen Sphären, in einem Zustand zwischen Himmel und Erde, Tag und Nacht, Traum und Wahn. Beschworene Fantasien, Feen und Geister zerren an den Nerven der Zuschauer, die sich nicht zurücklehnen können. Denn: 70 Minuten hält Martin Schläpfer den Spannungsbogen. Er treibt seine Tänzer in ein Meer von Kontrasten, stellt Welten gegeneinander, aus denen Neues entsteht, das die Bühne so noch nicht gesehen hat.

Zustände werden geschaffen, denen Bühnenbildner Florian Etti Halt gibt mit einer Rückwand und zwei Toren – Portale in eine andere Welt. Es wird nicht die eine Geschichte erzählt, Bilder und Zweifel steigen empor, Assoziationen getanzt – grotesk, irritierend und unerhört. Romantische Werke von Franz Schubert und zerklüftete zeitgenössische Klänge von Salvatore Sciarrino sind zu einer "Anballung von Musik" montiert. Das reizt die Ohren, führt zu Unruhe im angestrengten Publikum. Schläpfers Tanzsprache ist nicht gefällig, sie ist anstrengend. Der Mann bricht mit den Seh- und Hörgewohnheiten, seine Dramaturgie ist raffiniert. Er weiß um die Tanz-Traditionen, reibt sich an diesen, schraubt an den Techniken, lotet sie neu. Er formt neue Choreographien, feilt an den gestählten Körpern seiner Compagnie. Wenn drei Tänzer auf Spitze auftreten, dann wirkt das nicht wie eine Imitation der klassischen Ballerina, sondern wild-anarchisch – die überstreckten Gliedmaßen und die durch den Spitzenschuh verlängerten Beine verweisen ins Unendliche.

Die neue Schöpfung "Nacht umstellt" steht jenseits des klassischen Balletts. Sie stellt unter Beweis, warum der Schweizer als Leuchtturm der Tanzszene international so strahlend glänzt. Wohlwissend, dass die Musik Schuberts manchen als heilig gilt, verleiht Schläpfer dessen "Unvollendeter" durch andere Kompositionen einen Rahmen. Umstellt ist die "Unvollendete" von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Wen-Pien Chien und von zwei Werken des Italieners Salvatore Sciarrino. Den ersten Satz der h-Moll-Sinfonie widmet der Ballettchef Yuko Kato. Wie alle Tänzerinnen trägt auch sie ein körperumspielendes Kleid (Kostüme: Catherine Voeffray) mit extravagantem Rückendekolléte. Das Kostüm unterstreicht die Zerbrechlichkeit der Solistin, betont eine Leichtigkeit, welche die Schwere kennt.

Den Blick nach oben in eine andere Welt gerichtet, greifen am Ende doch Einsamkeit und Dunkel um sich. Im zweiten Satz betritt jung und romantisch ein Pärchen (Anne Marchand und Jackson Caroll) die Bühne. Doch das elfenhafte Mädchen wendet sich von ihrem Geliebten ab, wird von einer unbekannten Macht in den Bann gezogen. Bedrohlich zieht im Hintergrund stampfend und aneinandergeschmiedet eine aus den mehr als 40 Compagnie-Mitgliedern gebildete Menschenkette vorbei. Das Bild brennt sich ein, bevor die Ungeheuer der Nacht bei den folgenden Sciarrino-Klängen sichtbar werden. Der Mensch ist nicht behütet, er wird in die Welt geworfen, auf sich zurückgeworfen.

Als dritte äußere Schale gibt es als Prolog und Nachspiel wieder Schubert – vom Band eingespielt. Die "16 deutschen Tänze" in einer Aufnahme von Alfred Brendel ertönen und zum Finale "Die Nacht" ein Werk für Männerchor. Es ist ein versöhnliches Ende. Schläpfer entlässt das aufgewühlte Publikum in eine "gute Nacht". Und das nach einem beglückenden Tanzabend voller Kontraste, der wie immer mehrteilig ist. Denn bevor der Compagnie-Chef seinen opulenten Bilderbogen uraufführt, startet er als Gegenpol mit zwei sinnlichen Werken. Zum Auftakt kosten bei "Afternoon of a Faun" von Jerome Robbins nach der Musik von Claude Debussy Tänzer und Tänzerin eine erotische Begegnung aus, die jedoch ohne Folgen bleibt. Der niederländische Ballettmeister Hans van Manen lässt in seinem auf das Wesentliche reduzierte 20-Minuten-Stück "Without Words" eine Frau und drei Männer sehnsuchtsvoll umeinander kreisen. Jeder der Pas de deux bleibt ohne happy end. Es ist dieses kluge Arrangement, der inszenierte Dreiklang dieser so verschiedenen Stücke, der diese Aufführung b.16 so aufregend und anregend macht.

Info Weitere Aufführungen am 9. und 20. Juli, jeweils um 19,30 Uhr, am 14.Juli um 18.30 Uhr, www.operamrhein.de

(RP)
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