Schloss Moyland Der menschliche Hase

Bedburg-Hau-Moyland · Die bemerkenswerte Ausstellung "Die zweite Haut" im Museum Schloss Moyland hinterfragt den perfekten Körper und kleidet Menschen in Moos und Gras.

Ausstellung in Schloss Moyland: Der menschliche Hase
Foto: Markus van Offern

Fesch sitzt der Hase auf dem Sockel. Die Beine dezent übereinandergeschlagen, den Oberkörper gerade, die Ohren aufgestellt und die Vorderpfote wie zum Gruße ausgestreckt. Ein tiefschwarzer, seidiger Umhang wärmt seinen Rücken, eine kleine Handtasche liegt neben dem Tier. In "menschlicher Pose" wollte Deborah Sengl den Hasen haben. Und so sitzt er dort scheinbar menschlich auf dem Museumssockel. Dabei ist dieser Hase ziemlich unmenschlich: Sein Umhang ist aus Menschenhaar und sein Täschchen ziert eine menschliche Brustwarze.

"Killed to be dressed" - getötet, um angezogen zu werden, nennt die 44-jährige Sengl ihre Skulpturen- und Bilder-Serie mit Tieren. Sie verkehrt darin das scheinbar Selbstverständliche ins Gegenteil: Nicht Tiere werden getötet, damit sich der Mensch eine zweite, wärmende Haut überziehen kann, sondern Hase, Hermelin und Fuchs schmücken sich mit dessen Leichenteilen. "Die zweite Haut" heißt die Ausstellung im Museum Schloss Moyland, in der 60 Werke von 20 Künstlern hinterfragen, was passiert, wenn Mensch sich die zweite über die erste Haut stülpt, um sich von der Natur abzugrenzen oder aber sich mit ihr zu verbinden. Moyland zeigt großformatige Fotografien, raumgreifende Installationen oder stille Zeichnungen, die einladen, über die "zweite Haut" des Menschen nachzudenken. Jene zweite Haut, die schützen und verhüllen kann und auch als Schmuck getragen wird.

Die Arbeiten sind manchmal hart, oft träumerisch, lyrisch. Auf den Fotografien der norwegischen Künstlerinnen Riitta Ikonen und Karoline Hjorth tauchen alte, augenscheinlich sehr zufriedene Menschen in die Natur ein. Sie tragen Moos, Erde oder Gehölz als Kleidung und verschmelzen mit ihrer Umwelt. Eins mit ihrer Umgebung, zumindest optisch, werden wie Daphne die Models von Wilma Hurskainen: Grau wie die Straße ist die Hose der tiefenentspannt auf einem Feldweg liegenden Frau, grün wie das Gras ihre Bluse - man muss schon genau hinsehen, um sie zu erkennen.

Zentral in der Ausstellung steht Alba D'Urbanos Spiel mit der ersten Haut als zweite Haut: Die Italienerin ließ Etuikleider, Hosenanzüge oder Sakkos aus Stoff schneidern, der mit Fotos ihres nackten Körpers bedruckt ist. "Il Sarto Immortale", der unsterbliche Schneider, heißt die Serie der Kleidungsstücke. Werden sie von Models getragen, entsteht eine verwirrende Ambivalenz zwischen "nackt sein" und "bekleidet sein". Dieses Wechselspiel von Kleidung und Nacktheit entlarve die Vermarktung von Frauenkörpern in der Modeindustrie oder Medien, sagt Alexander Grönert, der als Kurator die Ausstellung in Moyland eingerichtet hat.

Im Schloss hängen D'Urbanos nackte Körper-Kleider am Bügel inmitten der großen Ausstellungshalle, nehmen Besitz von dem Raum, als wandelten sie auf einem imaginären Laufsteg. So, wie die heute 63-Jährige D'Urbano vor 20 Jahren erstmals ihre "Kollektion" von Models auf der Art Cologne präsentieren ließ und hinter der Geschichte vom perfekten Körper ein deutliches Fragezeichen setzte.

Traumhaft wiederum die Kleider der Britin Su Blackwell: Ein rosafarbenes Brautjungfernkleid löst sich da in einem Schwarm von Schmetterlingen auf und erinnert an ein Märchen aus Myanmar, wo sich die Seele während des Schlafes als Schmetterling auf die Reise begibt. Ein filigraner Hauch aus Nichts hingegen ist das dekolletierte und taillierte Kleid aus getrockneter Steinimmortelle von Ulla Reiss, hauchzart und aus eigenem Haar gewirkt die Mieder von Bettina Zachow.

Der abwesende Körper und letztlich auch der abwesende Mensch sind die Themen der "Shaping Shirts" von Esther Glück. Still hängen drei Torsi aus tönernen Kleidungsstücken geformt am Ende des Rundgangs. Grau ein weiblicher und ein männlicher, in herbstlichen Farben ein weiterer männlicher Torso. Die schwebenden, innen leeren Körperhüllen erinnern an den jüdischen Textilunternehmer Arthur Arnold, der 1941 in Dachau ermordet wurde, erfährt man aus dem Wandtext. Sein Bruder Benno und dessen Frau Anna wurden in Theresienstadt umgebracht. Esther Glück schuf einen Torso aus dem Laub des jüdischen Friedhofs in Augsburg, die anderen aus dem Schlamm der Eger bei Theresienstadt, deren Wasser die Asche tausender dort ermordeter Juden davontrug. Es ist, so Grönert, die zweite Haut, die hier die Erinnerung an die Unfassbarkeit des Holocaust, an die ausgelöschten, abwesenden Menschen wachhalte.

(mgr)
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