Umstrittene Abgastests Am lebenden Objekt

Düsseldorf · In den USA mussten Affen stundenlang Dieselabgase ertragen, in Aachen atmeten 25 Bürger Stickstoffdioxid an der Uniklinik ein. Die Kritik ist riesig. Dabei gibt es klare Regeln für Tierversuche und Versuche mit Menschen.

 Rhesus-Affe in Versuchslabor (Archiv).

Rhesus-Affe in Versuchslabor (Archiv).

Foto: dpa, mut bwe htf

Es gibt Organisationen wie die radikale Tierschützergruppe Peta, die seit jeher eine klare Haltung haben: Fast jede Form von Tierversuchen sei abzulehnen. Und es gibt eine riesige Welle der Empörung, seit am Wochenende herauskam, dass bei einem von der deutschen Autoindustrie bezahlten Test zehn Affen in den USA stundenlang Dieselabgase einatmen mussten.

Weitere Kritik löste aus, dass an der Universitätsklinik Aachen 25 Testpersonen Stickstoffdioxid in verschiedenen Dosen einatmen sollten und dann untersucht wurden - auch bei dieser Arbeitsplatzstudie mischte die Autoindustrie über ihren Verein EUGT als Finanzier mit. Das könne den Eindruck eines "Geschmäckles" erwecken, sagt Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, "weil die Forschung in Auftrag gegeben wurde durch ein Institut, hinter dem die Autoindustrie steckt". Er warnt, der Skandal könne die Legitimität von Tierversuchen und von sinnvollen Tests mit Menschen unterminieren: "Das kann Vertrauen kosten." Dabei gelten in Deutschland für Tierversuche und für Experimente mit Menschen klare Regeln.

Tierversuche sind für viele Zwecke erlaubt

Bei der Entwicklung von Medikamenten sind Tierversuche zwingend, viele Pharmazeutika müssen vor der Markteinführung von ausgewählten Personen unter strenger Beobachtung ausprobiert werden ("klinische Tests"). "Ein weitgehendes Tierversuchsmoratorium würde den Stopp aller Medikamentenforschung bedeuten", sagt Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller. Bei Bayer sind 90 Prozent der internen Tierversuche vom Gesetzgeber vorgeschrieben - 125.000 Tiere wurden 2016 eingesetzt, sechs Prozent weniger als 2015.

Bei Menschen ist Freiwilligkeit Pflicht. Die Testpersonen müssen intensiv über Risiken informiert werden. Und weil die 25 Probanden in Aachen nur kurze Zeit Stickstoffdioxid einatmeten, waren Gesundheitsschäden fast ausgeschlossen. "Die Grenzwerte für Menschen wurden nicht überschritten", erklärt die Uniklinik. Die für die Genehmigung von Tests mit Menschen zuständige Ethikkommission der Klinik habe den Tests zugestimmt, wird ergänzt - jetzt wartet die Landesregierung auf eine Erläuterung. Laut einem Bericht der "Welt" erhielt die Klinik von der EUGT immerhin 75.823 Euro für die Arbeiten - Geld, das den nun eingetretenen katastrophalen Imageschaden nicht ausgleichen kann.

Tierversuche sind in Deutschland laut Tierschutzgesetz für eine ganze Reihe von Zwecken erlaubt. Sie dürfen der Grundlagenforschung dienen, sie dürfen helfen, Krankheiten zu vermeiden, sie dürfen dem Schutz der Umwelt oder der Gesundheit dienen, sie helfen auch, die Unbedenklichkeit von Lebensmitteln ebenso wie von Medikamenten zu testen.

Schmerzen müssen "ethisch vertretbar" sein

Ein Tierversuch muss aber unerlässlich sein. Er darf laut Gesetz nur durchgeführt werden, "wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind". Nur, um Zeit zu sparen, dürfen keine Tierversuche durchgeführt werden, verboten ist auch, Kosmetika, Waffen, Munition oder Tabakerzeugnisse mit Tierversuchen weiterzuentwickeln.

Wer Tierversuche durchführen will, muss einen Tierschutzbeauftragten ernennen. Er oder sie prüft dann den Antrag, danach schaut sich die zuständige Behörde den Antrag an - in NRW ist dies das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz.

Eine Sachverständigenkommission aus Vertretern von Tierschutzorganisationen und Personen mit einem naturwissenschaftlichen Hochschulstudium (Tierärzte, Biologen, Wissenschaftler) unterstützt und berät die Behörde bei ihrer Entscheidung - zumindest den Grünen im Bundestag ist das zu wenig, sagt ihr Abgeordneter Harald Ebner auf Anfrage: "Der Staat sollte auch eine unabhängige Schaden-Nutzen-Abwägung vornehmen. Im Moment wird nur die Plausibilität eines Antrags geprüft."

Versuche mit 2,8 Millionen Tieren

Die entscheidende Abwägung ist, ob ein Tierversuch unerlässlich ist. Dabei wurde schon vor Jahren das 3V-Prinzip entwickelt: Vermeidung, wenn möglich Verkleinerung des Testumfanges, so weit es geht, und Verfeinerung. Verfeinerung bedeutet, dass die Belastung für Versuchstiere kleingehalten werden soll, Verringerung, dass man wenige Tiere nutzen soll, und Vermeidung, dass eine Untersuchung gestrichen werden sollte, wenn Forscher anhand von Zellkulturen, Computersimulationen oder mit einer Literaturanalyse das gleiche Ergebnis erzielen könnten. Aus diesem Grunde wird der US-Affenversuch der Autobauer so scharf verurteilt: "Der Mehrwert für die Forschung lag bei Null", sagt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer, "das war ja nur eine Scheinstudie, um von den Problemen des Diesel abzulenken."

Hätten deutsche Behörden also verboten, eine Affengruppe mit Dieselabgasen zu malträtieren? Das könnte sein. So drängt der deutsche Gesetzgeber darauf, Tierversuche bei Affen nur sehr zurückhaltend zu wagen - es waren 2016 aber trotzdem noch 2462 Affen und Halbaffen (keine Menschenaffen!). In den USA lag die Zahl der bei Tierversuchen eingesetzten Affen 2016 dagegen bei mehr als 70.000, schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Grundsätzlich versucht der Staat, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren und Alternativen zu entwickeln - bisher nur mit wenig Erfolg, insgesamt wurden vergangenes Jahr 2,8 Millionen Tiere bei Versuchen eingesetzt. Der Deutsche Tierschutzverein drängt auf mehr Anstrengungen. Wohin die Reise geht, zeigt der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vergebene Tierschutzforschungspreis: 25.000 Euro erhielten Forscher aus Jena, die einen künstlichen "Biochip" entwickelt hatten, der die Arbeitsweise von Körperteilen nachbildet.

(rky)
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