Moers Sternsingern fehlt der Nachwuchs

Moers · Noch bis Sonntag sammeln bundesweit eine halbe Million Jungen und Mädchen Geld für notleidende Kinder in Afrika. Doch die Zahl der Sternsinger nimmt seit Jahren stetig ab, weil es zu wenige Geburten gibt.

Wer es kann, singt laut mit, damit es die anderen, die es nicht können, lernen. Mehr als die Hälfte der gut 80 Kinder, die auf den Holzbänken der katholischen St.-Josef-Kirche in Moers sitzen, schweigt allerdings. Die anderen singen zaghaft. "Wir kom-men da-her aus dem Mor-gen-land, wir kommen geführt von Got-tes Hand", die erste Strophe des Begrüßungsliedes der Sternsinger.

Landauf, landab ziehen sie seit gestern wieder von Haustür zu Haustür, Kinder mit weiten Umhängen und übergestülpten Regenjacken, mit Pappkronen und Sternen aus Glanzpapier, die sie selber gebastelt haben. Eine halbe Million sind es bundesweit, in NRW etwa 100 000 Kinder, die als Caspar, Melchior und Balthasar verkleidet an die Haustüren klopfen und um milde Gaben und Geld für die Hilfsaktion zugunsten notleidender Kinder in aller Welt bitten. Noch bis zum 6. Januar, dem Dreikönigstag am Sonntag, sagen die kleinen Monarchen an den Haustüren kurze Verse und Gedichte auf, singen Lieder, sprechen Gebete. Mit weißer Kreide schreiben sie die Buchstaben C+M+B an die Hauswände, die nicht – wie viele meinen – für die Namen der drei Könige stehen, sondern für den Segensspruch "Christus Mansionem Benedicat" (Gott segne dieses Haus).

Seit knapp 20 Jahren ist Sigrid Gorenc Küsterin in der Moerser St.-Josef-Pfarre. Damals, als sie angefangen hat, waren es dreimal so viele Kinder wie heute, die sich als Sternsinger meldeten, sagt sie. "Die Geburtszahlen gehen deutlich zurück." 2012 wurden in Moers 22 Kinder getauft, im Jahr davor waren es 56. Seit Jahren sinkt diese Zahl. In vielen anderen Städten ist die Entwicklung ähnlich. Ob in Köln, Aachen oder Essen – in fast allen Bistümern lichten sich die Reihen der Sternsinger. Der Präsident des Kindermissionswerkes, Klaus Krämer, sagt: "Wir spüren die Prozesse in den Gemeinden, dass sie größere Schwierigkeiten haben, Gruppen aufzustellen. Das gilt für Kinder als auch für Begleiter."

Es ist nicht nur der Nachwuchs, der fehlt, auch Teile dieses Brauchtums verändern sich. So bleibt immer öfter die Kreide in den Taschen der Sternsinger stecken, weil sich zunehmend weniger Hausbesitzer dieses Zeichen wünschen, deren Bedeutung sie oft sowieso nicht verstehen, was sie aber nie zugeben würden. Sie sagen dann vielmehr Sätze wie: Die Kreide ließe sich schwer wieder abwaschen. Sie verschmiere die Fassade. Und schön sehe das ja auch nicht aus. Das mangelnde Bewusstsein für das Brauchtum ist auch dem Moerser Pfarrer Peter Boßmann nicht entgangen, der den Aussendungsgottesdienst für die Sternsinger hält. "Was aber letztlich zählt, ist, dass die Menschen ein großes Herz haben, daran hat sich nichts geändert", sagt er. "Daran nicht und an ihrer Spendenbereitschaft auch nicht."

Wäre da nur nicht dieses Singen, für die neunjährige Kati aus Moers gebe es sonst nicht viel Schöneres, als Sternsinger zu sein. "Nee, das mag ich nicht so gerne, aber es muss sein", sagt sie, ehe sie die Schelle drückt. Die Haustür geht auf, eine ältere Dame steht vor Kati und ihren beiden Freundinnen, Samira (9) und Celina (12). Die Mädchen stellen sich kurz vor. "Wir sind Caspar, Melchior und Balthasar, die drei Weisen aus dem Morgenland." Die kleinen Königinnen gucken auf ihre Liederzettel, die sie aus ihren Hosentaschen kramen und stimmen "Gloria" an. Dann bitten sie Gott, das Haus zu segnen. Die alte Frau ist dankbar. Sie gibt ihnen zwei Euro. Den Segen schreiben die Kinder nicht an die Hauswand. Die Frau hat sie nicht darum gebeten.

Zu Beginn der Tradition, die sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, waren es meist notleidende Wanderarbeiter und Spießgesellen, die als Sternsinger um Almosen bettelten, weil sie in den Wintermonaten keine Arbeit fanden, oder es waren Schüler, die sich auf diese Weise ihr Schulgeld verdienten. Kati, Samira und Celina wissen das. Sie haben das in der Vorbereitung auf die Sternsingeraktion gelernt. Und sie haben gelernt, dass es anderen Kindern in der Welt viel schlechter geht als ihnen. Und dass sie ihnen helfen müssen. Deswegen sammeln sie in diesem Jahr unter dem Motto "Segen bringen, Segen sein" für notleidende Kinder im ostafrikanischen Tansania. "Ihnen zu helfen, bereitet uns Freude", sagt Kati.

Freude bereitet ihr Besuch auch den Bewohnern des Seniorenzentrums der Grafschafter Diakonie am Rande des Moerser Schlossparks. Die älteren Leute haben sich im Gemeinschaftsraum versammelt, etwa 70 sind gekommen, um den Segen zu erfahren. Die Mädchen zücken ihre Liederzettel, die Senioren ihre Portemonnaies. Sie stecken eifrig Münzen und Scheine in die Sammelbüchse, die einmal reihum geht. Diesmal dürfen die Mädchen ihre Kreide zücken. Den Senioren sind die Buchstaben C+M+B wichtig, sie kennen die Bedeutung.

(RP)
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