Neu-Delhi Beben im Himalaya tötet 2500 Menschen

Neu-Delhi · Nepal hat nach dem schlimmsten Erdbeben seit 81 Jahren den Notstand ausgerufen. Helfer graben sich mit Händen durch die Schutthaufen. In den Straßen von Kathmandu liegen viele Tote, Menschen suchen verzweifelt nach Essen.

Die Erde will nicht zur Ruhe kommen. Am Tag nach dem verheerenden Erdbeben haben gestern neue Erdstöße Nepal in Panik versetzt. Häuser schwankten, Menschen rannten schreiend ins Freie, am Mount Everest gingen weitere Lawinen ab, sogar im 800 Kilometer entfernten Delhi musste die Metro zeitweise gestoppt werden. Aus Angst, unter ihren Häusern begraben zu werden, hatten Zehntausende Menschen bereits die Nacht im Nieselregen auf Straßen, Parkplätzen und in Gärten verbracht. Viele sangen oder beteten gegen die Angst an, während immer neue Nachbeben das Land erschütterten und die Erde düster grollte. "Ich habe kaum ein Auge zugemacht", erzählt Sundar Sah. "Die ganze Nacht gab es neue Beben. Ich bin froh, dass ich am Leben bin." Die Nachbeben erreichten die Stärke 6,7 auf der Richterskala.

Am Samstag, wenige Minuten vor 12 Uhr, hatte ein Beben der Stärke 7,8 auf der Richterskala weite Teile des Kathmandu-Tals verwüstet. Es war das schlimmste Erdbeben seit 81 Jahren in Nepal. Inzwischen ist von mindestens 2500 Toten und 6000 Verletzten die Rede, die Zahl dürfte weiter steigen. Die Erdstöße waren so heftig, dass die Ausläufer bis nach Indien, Bangladesch, Pakistan und Tibet reichten und dort über 50 Menschenleben forderten. "Die Erde wankte, als ob man bei schwerem Seegang auf einem Boot ist", sagte der Journalist Kanak Mani Dixit, der gerade Mittag mit seinen Eltern aß, der "New York Times".

Nepals Regierung rief den Notstand aus und bat die Welt um Hilfe. Ganze Dörfer sollen ausgelöscht oder unter Felsbrocken und Geröll begraben sein. Viele sind so abgelegen, dass es Tage dauern wird, bis das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar wird. Gestern schwärmten 10 000 Soldaten und Polizisten aus, um in den Trümmern nach Überlebenden zu suchen. Auch Bürger und Touristen packten mit an. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Viele der Eingeschlossenen sind schwer verletzt und brauchen dringend Behandlung. Die Retter graben mit Schaufeln oder bloßen Händen, weil ganze Viertel ohne Strom sind und es an Gerät fehlt. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Die Nachbeben und schlechtes Wetter erschweren die Rettung. Der Flughafen musste zeitweise geschlossen werden. Auch Hubschrauber, die Verletzte aus entlegenen Gebieten evakuieren, mussten vorübergehend am Boden bleiben.

Das Beben ist auch eine kulturhistorische Katastrophe. Das Tal von Kathmandu mit seinen Märkten, Tempeln und Palästen ist Weltkulturerbe. Vom 1832 erbauten, 60 Meter hohen Dharahara-Turm, einem Wahrzeichen Kathmandus, blieben nur noch Ruinen, 60 Leichen wurden allein dort geborgen. Auch der Durbar Square wurde dem Boden gleichgemacht. "Trauer senkt sich über uns. Wir haben unsere Tempel, unsere Geschichte, die Orte unserer Kindheit verloren", meinte die Autorin Shiwani Neupane.

Die Krankenhäuser in Kathmandu werden dem Ansturm an Verletzten nicht mehr Herr, Krankenschwestern und Ärzte sind heillos überlastet. Tausende Verletzte werden daher unter freiem Himmel versorgt. Vielerorts gehen Medikamente und Verbandszeug zur Neige. Es fehlt an Platz, die Leichen aufzubahren. Zehntausende Menschen haben ihre Häuser verloren. In aller Eile wurden Schulen und Behördengebäude in Notunterkünfte umgewandelt.

Dabei war die Katastrophe absehbar. Schon lange warnen Experten vor einem schweren Beben in dem kleinen Himalaya-Staat. Erst eine Woche vor der Katastrophe hatten sich Erdbebenspezialisten in Nepal getroffen, um mögliche Szenarien zu erörtern. Nepal gilt als Hochrisikogebiet, weil dort die eurasische und die indische Kontinentalplatte zusammenstoßen. Die Hauptstadt Kathmandu und ihre Umgebung sind eines der seismisch aktivsten Regionen der Welt. 1934 hatte ein Beben der Stärke 8.0 auf der Richterskala Kathmandu, Bhaktapur und Patan dem Boden gleichgemacht.

Unterdessen lief internationale Hilfe an. Als erstes Land hatte Indien bereits am Samstag Hilfsflüge gestartet. Auch aus Pakistan, China, den USA und Europa ist Hilfe auf dem Weg. Flugzeuge mit Arzneien, Decken, Nahrung und Wasser erreichten Kathmandu. Viele Hilfsorganisationen sind ohnehin regulär vor Ort. Denn Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, wirtschaftlich lebt es vor allem vom Tourismus.

(RP)
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