Bochum/Herne Mit der ganzen Härte des Gesetzes

Bochum/Herne · Der Doppelmörder von Herne, Marcel H., bekommt trotz seines noch jungen Alters die höchste in Deutschland mögliche Strafe. Er muss lebenslang in Haft. Die Familien der Opfer nahmen das mit Erleichterung auf.

Ein letztes Mal wird Marcel H. in den Gerichtssaal im Bochumer Landgericht geführt, zum ersten Mal trägt er Hemd und ein schwarzes Jackett. Zum Prozessauftakt war er noch in einem ausgeleierten Sweatshirt erschienen. Der 20-Jährige sitzt wie immer mit nach vorne geneigtem Kopf und gebeugtem Rücken und hört so das Urteil.

Der Vorsitzende Richter Stefan Culemann verurteilt Marcel H. für die Morde am neunjährigen Jaden und an seinem Bekannten Christopher W. (22) zu lebenslanger Haft. Die Kammer stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest. "Die Sicherungsverwahrung wird vorbehalten", sagt Culemann.

Der Angeklagte ist zu jung, als dass diese Zusatzstrafe, die über die 15 Jahre Haft hinausgeht, schon jetzt ohne die Möglichkeit der Überprüfung verhängt werden könnte. Marcel H. soll seine Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung verbüßen - unter den Freunden und Verwandten der Opfer sorgt das kurz für Empörung. Ein Justizbeamter mahnt zur Ruhe.

Richter Culemann verzichtet in der Urteilsbegründung auf eine Schilderung der Taten. "Der Staatsanwalt hat sie ausführlich dargestellt und sämtliche Beweise gewürdigt", sagt er und erläutert aber, warum die Kammer den bisher nie mit dem Gesetz in Konflikt geratenen 20-Jährigen wie einen Erwachsenen bestraft - und zwar mit dem höchsten in Deutschland möglichen Strafmaß. Von einer Jugendverfehlung könne keine Rede sein. Es gebe viele Beispiele dafür, dass Marcel H. eine dissozial-narzisstische Persönlichkeitsstörung habe. Sein Narzissmus habe sich schon im Kindergarten gezeigt. Marcel H. hatte einer psychiatrischen Gutachterin erzählt, er habe sich den "Gleichaltrigen in ihren Windeln" immer überlegen gefühlt. H. quälte als Kind immer wieder Tiere. Für die Kammer war dies ein Zeichen seiner Gefühllosigkeit. Seine fehlende Reue und die absolute Skrupellosigkeit machten den Fall für alle Beteiligten außergewöhnlich. Selbst sein Verteidiger Michael Emde fand im Plädoyer keinen Punkt, den man H. hätte zugute halten können. Sein Mandant werde das Urteil akzeptieren, sagt der Verteidiger nach Prozessende.

Nicola Skorbene, die Anwältin von Christopher W.s Mutter, wird später sagen, dass die Strafe angemessen ist. Sie hält es für angebracht, dass H. dauerhaft unter psychologischer Betreuung steht und nicht einfach weggesperrt wird. Sie nennt den Fall "einzigartig" in der deutschen Justizgeschichte, weil Marcel H. so jung bereits zwei grausame Morde begangen hat. "Meine Mandantin ist erleichtert über das Urteil, aber es ist keine Entschädigung für den Verlust ihres Kindes", sagt Skorbene. Michaela W. will nicht selbst sprechen. Der Prozess hat ihr alles abverlangt. 25 Verhandlungstage haben die beiden Mütter hinter sich. Stundenlang mussten sie mitanhören, auf welche Weise ihre Söhne starben, wie Marcel H. auch nach seinen Taten die Leichen schändete, Fotos von Jaden an Bekannte verschickte. In einer Audionachricht nannte er den Mord "easy" und verhöhnte den Jungen. Auch diese Sprachnachricht landete im Netz. In den Tagen nach der Tat hörten Hunderttausende sie dort.

Oft rückten die Mütter der beiden getöteten Jungen während des Prozesses enger zusammen, hielten sich an den Händen, wenn die Schilderungen zu schrecklich wurden. Ihnen spricht das Gericht mehrere zehntausend Euro Schmerzensgeld zu, insgesamt sind es 90.000 Euro. Ob die Familien der Opfer das Geld jemals bekommen, ist fraglich.

Drei Tage lang hatte die Polizei im März 2017 in ganz Deutschland nach Marcel H. gesucht. In Wetter wurde ein Gymnasium durchsucht, in Mönchengladbach ein Krankenhaus, weil man ihn dort vermeintlich gesehen hatte. 1400 Hinweise gingen bei der Polizei ein. Stattdessen hielt sich Marcel H. in Christopher W.s Wohnung auf, wohnte tagelang neben der Leiche, die er mit einem Tuch verdeckt hatte.

Am 9. März stellte sich Marcel H. abends in einem griechischen Imbiss in Herne, fünf Kilometer von dem Haus entfernt, in dem er Jaden umgebracht hatte. Der Imbiss-Besitzer wird diesen Tag nie vergessen. "Das war wie im Spielfilm", erzählt Georgios Haitidis (56). "Der Marcel kam mit einem Regenschirm und einem Sack Zwiebeln in meinen Imbiss und hat gesagt: 'Rufen Sie die Polizei. Ich bin der, den ihr sucht'", sagt der Grieche. Seine Frau habe erst gedacht, das sei ein Scherz, aber dann doch die Polizei gerufen. In den wenigen Minuten, in denen sie auf die Polizei warteten, habe er ihm geholfen, den Akku aus seinem Handy zu entfernen. Marcel H. habe das Handy auf seinem Knie zerbrochen und die Reste in den Mülleimer geworfen. Haitidis und seine Frau sind froh, dass Marcel H. die höchste Strafe erhält. Sie kannten auch Christopher vom Sehen: Er kam regelmäßig in den Imbiss.

In der Herner Bergarbeitersiedlung nahe der stillgelegten Zeche "Unser Fritz" gleicht der Vorgarten von Jadens Familie einem Gedenkort für den Jungen. In einem Blumenbeet links neben der Haustür stehen Kerzen, Fotos, Stofftiere und Superheldenfiguren und ein DIN-A4-Blatt in Klarsichtfolie mit dem Spruch "Wir werden dich immer in Erinnerung behalten". Der Regen hat das Papier aufgeweicht, die Buchstaben verwaschen.

Das Urteil beendet zumindest die juristische Aufarbeitung der grauenhaften Taten. Abgeschlossen haben die Menschen in Herne damit nicht. Die Inhaberin eines Friseursalons wenige hundert Meter von der Siedlung entfernt sagt: "Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, dass das wirklich passiert ist."

(RP)
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