Interview mit Bascha Mika "Wir Frauen werden alt gemacht"

Düsseldorf · Die neue Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau" und frühere taz-Chefin, Bascha Mika, über die letzte emanzipationsfreie Zone: Der Umgang mit Frauen in mittleren Jahren.

Interview mit Bascha Mika: "Wir Frauen werden alt gemacht"
Foto: dpa, kj

Sie sind gerade 60 Jahre alt geworden. Haben Sie sich darüber gefreut?

Bascha Mika Sehr. Mein Liebster hat mir eine wunderschöne Überraschungsparty geschenkt. Ich fand´s klasse.

Es tut kein bisschen weh, schon so alt zu sein?

Mika Ich leide vielleicht manchmal darunter, dass das Älterwerden mich körperlich verändert. Wenn ich nicht mehr aus dem Stand zehn Kilometer laufen könnte, würde ich anfangen mich zu ärgern. Aber ich leide nicht darunter, wie die Gesellschaft mein Älterwerden bewertet. Das geht vielen Frauen anders, und das ist das Thema meines neuen Buches. Meine These: Frauen werden alt gemacht, Männer dürfen älter werden.

Woran machen Sie das fest?

Mika Die meisten Männer haben sehr viel weniger Probleme mit dem Älterwerden als Frauen. Männer beschäftigen sich nicht mit dem Alter, werden sehr viel seltener mit ihren Lebensjahren konfrontiert und können beim Älterwerden sogar profitieren: Man gesteht ihnen zu, dass sie mit den Jahren mehr an Charakter, Persönlichkeit, Erfahrung gewinnen, und wenn es gut läuft, auch an Geld und Macht. Wir Frauen haben im zweiten Lebensabschnitt zwar auch mehr Charakter, Persönlichkeit und Erfahrung, aber für uns bedeutet das mitnichten einen Pluspunkt, weil es uns niemand positiv anrechnet. Bei uns Frauen guckt man auf etwas völlig anderes: Wenn Frauen älter werden, wird das mit körperlichem Verfall assoziiert. Bei Männern gelten Falten durchaus als attraktiv, bei Frauen sind sie angeblich hässlich.

Wer macht diese Zuschreibung, die Männer oder die Frauen selbst?

Mika Beide. Das ist ein gesellschaftlicher Mechanismus, der sich über Jahrtausende eingeschliffen hat. Bereits die antiken Dichter haben über die älter werdende Frau gelästert. Es gibt uralte, hässliche Bilder, die bis heute wirksam sind. Zum Beispiel, dass wir, sobald wir in die Menopause kommen, anfangen zu vertrocknen. Und wenn wir dann nicht mehr bluten, werden auch die Gifte nicht mehr aus dem Körper geschwemmt, deshalb werden wir zur Giftspritze. Noch heute finden wir solche kruden Vorstellungen wieder. Zum Beispiel in der US-Fernsehserie "Sex and the City". Dort sagt eine der Heldinnen: "Oh Gott, ich komme in die Wechseljahre, ich werde von innen vertrocknen!"

Ist die ältere Frau also heute die letzte, die gesellschaftlich noch diskriminiert wird, oder gilt das weiterhin für alle Frauen, auch die jüngeren?

Mika Trotz zweier Frauenbewegungen sind wir sicherlich noch immer weit davon entfernt, auf allen Feldern 50 Prozent der Welt zu beherrschen. Aber es gibt nicht mehr viele gesellschaftliche Bereiche, die wir nicht zumindest aufgemischt haben, fast überall ist etwas passiert. Nur beim Älterwerden nicht. Wenn es darum geht, werden viele Frauen auf einmal klein, leise und unglücklich, weil sie immer noch glauben, dass ihre Probleme ihr privates Versagen sind. Wir Frauen erkennen nicht, dass es gesellschaftliche Mechanismen sind, die zu unserer Kränkung führen.

Woran liegt es denn, dass ältere Frauen gegenüber älteren Männern als minderwertig angesehen werden?

Mika Tiefenpsychologisch betrachtet hat es sicher mit der verdrängten Angst vor dem Tod zu tun. Diese Angst wird auf die Frauen projeziert. Das ist eine Frage der Macht. Die mächtigere Gruppe in der Gesellschaft bestimmt deren Werturteile. Da Männer über Jahrtausende die Mächtigeren waren, konnten sie die negative Seite des Älterwerdens erfolgreich den Frauen aufbürden.

Für jüngere Frauen hat sich bereits viel verändert, sie haben heute viel mehr Chancen als früher. Wenn die heute 20-jährigen Frauen älter sind, werden sie im Alter auch anders wahrgenommen. Könnte das nicht sein?

Mika Schön wär´s. Ich sehe eher rückläufige Tendenzen. Junge Frauen haben doch heute den medial erzeugten Fremdbildern, wie ihr Körper zu sein hat, sehr viel weniger entgegenzusetzen. Für sie ist die Benchmark für Attraktivität "Germany´s Next Topmodel". Gewiss stehen auch junge Männer heute stärker unter Druck, einem bestimmten Bild von Attraktivität zu entsprechen. Aber das Gros der Männer ist immer noch sehr weit davon entfernt. Da müssen Sie nur auf die Straße gehen: Männer glauben per se, sie könnten aussehen, wie sie wollen, ohne dass ihnen ein Abzug in der B-Note droht. Auf diese Idee kämen Frauen gar nicht.

Erfährt eine Frau vielleicht auch häufiger eine Kränkung, weil der Kränkende erwarten darf, dass sie sich dagegen weniger wehren wird als ein Mann?

Mika Ja. Frauen fressen die Verletzung eher in sich hinein. Oder sie übertragen die Kränkung auf andere Frauen, um sich selbst zu entlasten. Wir identifizieren uns immer mit dem Sieger. Deshalb fällt es Frauen oft leichter, sich mit einem mächtigen Mann zu identifizieren als mit einer weniger mächtigen Frau.

Viele Frauen sind heute aber doch wirtschaftlich unabhängiger als die Generation ihrer Mütter, ändert das die Lage nicht grundlegend?

Mika So einfach ist das mit der ökonomischen Eigenständigkeit leider nicht. In Deutschland steigt die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Jede zweite Frau hat keine volle Stelle. Entsprechend weniger verdient sie und wird auch nur eine magere Rente bekommen. Das Problem fängt meist bereits mit dem ersten Kind an. Wenn Frauen Ende 40 sind und die Kinder aus dem Haus gehen, bekommen sie häufig keinen Vollzeitjob mehr. Einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Solange die Kinderbetreuung ein Frauenphänomen bleibt, wird sich an dieser Situation nichts ändern. Die durchschnittliche deutsche Mutter setzt beruflich vier bis fünf Jahre komplett aus. Die Zahl der Frauen, die erwerbstätig sind, hat sich vergrößert, das Arbeitsvolumen insgesamt ist aber nicht entsprechend gewachsen, es wurde nur auf mehr Köpfe verteilt. Es stimmt, dass der doppelte Standard nicht mehr ganz so krass ist wie in den 50er-Jahren, aber die negativen Zuschreibungen haben sich nicht verändert. Trotz allem hinzugewonnenen Selbstbewusstsein ist es doch so, dass Frauen sich beim Älterwerden nicht gegen ihre Herabsetzung wehren. Das ist aber auch verdammt schwer.

Was kann die ältere diskriminierte Frau denn nun tun?

Mika Eine Portion Ignoranz gegenüber diesen Mustern kann helfen. Wir brauchen eigene Bilder vom Älterwerden! Dabei finde ich es natürlich überhaupt nicht erstrebenswert, dass Frauen genauso eine nachlässige Haltung gegenüber ihrem Körper entwickeln wie Männer das häufig tun. Bei Männern führt dies ja unter anderem dazu, dass sie viele Jahre früher sterben. Eigentlich ist es ja toll, dass wir Frauen sehr viel mehr in unseren Körper stecken. Trotzdem müssen wir den Schritt machen, uns nicht mehr so stark über ihn zu identifizieren. Es täte uns allen gut, wenn Männer mehr auf ihren Körper achten würden und wir Frauen uns unsere Identität nicht mehr so stark über den Körper holen würden.

Haben Frauen deshalb berufliche Nachteile?

Mika Der ARD-Moderator Thomas Roth gilt als ein attraktives Fernsehgesicht, während Kolleginnen im gleichen Alter sich von der Arbeit vor der Kamera zurückziehen. Er selbst hat wahrscheinlich überhaupt kein Problem mit seinen grauen Haaren und seinen Falten, ihm wird ja auch signalisiert, dass er damit auf dem Bildschirm gut bestehen kann. Niemand würde auf die Idee kommen, dass er zu alt für den Job ist. Eine Frau, die zehn Jahre jünger ist als er hat aber das Gefühl, sie sei nicht mehr tragbar. Sie glaubt: Die Öffentlichkeit will mich nicht mehr sehen.

Kommen diese Frauen einer sinkenden Einschaltquote zuvor, wenn sie vorzeitig gehen?

Mika Es wird selten ausprobiert, Frauen länger auf dem Bildschirm zu lassen. Die Gesellschaft altert ja insgesamt. Frauen wollen zwar gern jüngere Frauen sehen, aber natürlich auch Frauen in ihrem eigenen Alter. Auch sie wollen mit jemandem auf dem Bildschirm älter werden können. Es wäre tröstlich zu sehen, dass auch die Frau im Fernsehen Falten und Tränensäcke hat. Stattdessen ist es so, dass fast alle Frauen im Fernsehen jenseits der 50 sich haben operieren lassen. Also hat die "Alltagsfrau" wieder den Eindruck: Oh Gott, wir sind im gleichen Alter, aber die sieht ja viel jünger aus!

Von wem lernen Frauen diese Reduzierung auf das Äußerliche?

Mika Auch von ihren Müttern. Viele junge Frauen machen die Erfahrung, dass ihre Mütter mit dem Älterwerden schlecht zurechtkommen, dass sie sich zurückziehen und traurig werden. Das macht jungen Frauen nicht gerade Mut. Wir sind ja alle Teil dieses höllischen Gesellschaftsspiels, nur haben wir Frauen darin die miesen Karten.

Sie sprechen von den Frauen im mittleren Alter. Wie geht es der alten Frau jenseits der 70?

Mika Ihr geht es sehr viel schlechter als alten Männern. Sie haben zum Beispiel in der Regel nur die Hälfte des Rentenbetrags. Selbstverständlich gibt es zufriedene ältere Frauen. Frauen, die es geschafft haben, mit ihrem Selbst- und ihrem Fremdbild ins Reine zu kommen. Und man darf nicht vergessen, dass die Frauen in der mittleren Lebensphase dafür sorgen, dass diese Gesellschaft läuft, indem sie sowohl die jüngere als auch die ältere Generation massiv unterstützen. Trotzdem wird es ihnen kein bisschen gedankt.

Was können Frauen denn nun tun?

Mika Es würde schon helfen, wenn wir mal kurz innehalten und nachdenken, bevor wir einer Frau ein bestimmtes Etikett aufgrund ihres Äußeren verpassen. Und natürlich müssen wir darüber laut debattieren.

Ist der Weltfrauentag da ein geeigneter Anlass?

Mika Solange wir nicht in der besten aller Welten leben und uns über Gleichberechtigung noch Gedanken machen müssen, ist ein solcher Tag sinnvoll. Solange Männer und Frauen nicht unabhängig von ihrem Geschlecht das Gleiche erreichen können, gibt es jede Menge zu tun.

Bascha Mikas Buch zum Thema, "Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden", ist im Verlag Bertelsmann erschienen und kostet 17,99 Euro.

(RP)
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