Buch von Thomas Middelhoff Der Promi-Häftling aus Zelle A 115

Essen · Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff, der 2014 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, hat ein Buch geschrieben. Der Freigänger der JVA Essen rechnet darin mit der Justiz und ehemaligen Wegbegleitern ab.

 Thomas Middelhoff (Archivbild)

Thomas Middelhoff (Archivbild)

Foto: dpa, mg fdt ve

Bis November 2014 war die Zelle A 115 der Justizvollzugsanstalt (JVA) Essen eine wie jede andere. Dann aber beherbergte sie einen prominenten Gefangenen namens Thomas Middelhoff, der wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und noch im Gerichtssaal wegen Fluchtgefahr verhaftet worden war. Mit dem Ex-Chef des Handelskonzerns Arcandor als Insasse ist A 115 also ein Haftraum der besonderen Art geworden, und nun hat ihn Middelhoff auf einem Buchcover endgültig aus der JVA heraus in die Öffentlichkeit versetzt. "A 115 - Der Sturz" heißt das Buch des Ex-Managers, das am Donnerstag erschienen ist.

Dass Middelhoff seinen Weg aus der Beletage der deutschen Unternehmenslandschaft zum Freigänger der JVA Essen selbst als Absturz begreift, ist einer der wenigen Punkte, in denen seine Selbstwahrnehmung mit dem Urteil der breiten Öffentlichkeit übereinstimmt. Vieles löst bei manchen Betrachtern ungläubiges Staunen aus. Mehrfach scheint der Autor durch entsprechende Zitate zu Josef K. aus Franz Kafkas "Der Prozess" mutieren zu wollen, und irgendwann lässt er sich geradezu herab, dem Vorsitzenden Richter Jörg Schmitt zu verzeihen — "trotz allem".

Die Reform des deutschen Justizvollzugs sei "überfällig", urteilt der Verurteilte, und dabei geht es ihm wohl um das Gericht selbst und um die Bedingungen in der Justizvollzugsanstalt. Da wird Middelhoff Beifall finden, weil er Sparmaßnahmen und Investitionsstau in den Gefängnissen beklagt. Da macht er sich gemein mit einem Otto Normalhäftling und dessen Angehörigen, die im Internet teils auch über unzumutbare Haftbedingungen in diesen Anstalten klagen.

Er wolle seine Kraft dafür einsetzen, dass dringend notwendige Reformen angestoßen würden, kündigt er an. Da ist er, der alte Macher, würden manche sagen. Aber gleichzeitig ist da dieses Klagen über das Gericht, das ein bisschen so klingt wie bei dem Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der schon die Anklage im Mannesmann-Prozess als einen ungeheuerlichen Akt empfand, bei dem erfolgreiche Manager bestraft würden.

Erfolgreich war der bei Bertelsmann steil aufgestiegene Middelhoff bei Arcandor nicht mehr. Sein Absturz endete in der Privatinsolvenz und der Trennung von seiner Frau. Auch das ist natürlich Thema des Buches. In dem rechnet Middelhoff vor allem mit der deutschen Justiz und ehemaligen Wegbegleitern ab — dem Vorsitzenden Richter im Essener Strafprozess (auch wenn der ihn natürlich nicht im Alleingang verurteilt hat), den Staatsanwälten, den Journalisten. Selbst Madeleine Schickedanz, die ihn einst als Rettungsengel für Arcandor ausersehen hatte, und sein Bertelsmann-Mentor Mark Wössner fallen in Ungnade. Von Lügen ist die Rede, von Feigheit und Illoyalität. In der Wahrnehmung des Literaten scheint sich die halbe Welt in dieser Zeit gegen ihn verschworen zu haben.

Warum diese Abrechnung mit den Figuren der Vergangenheit?

Was Middelhoff über die Zeit im Gefängnis schreibt, ist natürlich nur schwer nachprüfbar. Die Haftbedingungen, die Verschlimmerung seiner Autoimmunerkrankung im Gefängnis, Probleme bei den Kontakten zu anderen Mitgefangenen — all das beschreibt er. Die formulierte Selbsterkenntnis, ein Narzisst gewesen zu sein, das Eingeständnis, Hedonismus sei eine Triebfeder seines Handelns gewesen, seine Erfüllung, die er nach eigenen Angaben durch seine Arbeit in einer Behindertenwerkstatt findet — all das will das Bild eines Mannes transportieren, der erkannt hat, was in seinem Leben falsch gelaufen ist, und der nach der Verurteilung einen neuen Weg gefunden hat. Aber warum dann nur diese Generalabrechnung mit den Figuren der Vergangenheit?

Psychologen würden vermutlich urteilen, der Mann sei innerlich zerrissen. Zwischen dem Versuch, die ihm vermeintlich widerfahrene Ungerechtigkeit wenigstens noch einmal angeprangert zu haben, und dem Bemühen, der Öffentlichkeit einen anderen Middelhoff zu zeigen als den, den sie gewohnt war. Vielleicht wollte er aber auch nur noch ein bisschen zusätzliches Geld verdienen. Das allein wäre natürlich auch ein legitimer Anlass gewesen, dieses Buch zu schreiben.

Das Buch Thomas Middelhoff: "A 115 - Der Sturz". Verlag Langen/Müller, 320 Seiten, 24 Euro

(RP)
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