Historiker Hans Mommsen ist tot

Tutzing · Er gehörte zu den Unbequemen seiner Zunft. Er war kein Gelehrter im stillen Studierstübchen, sondern ein Historiker, der sich der Gegenwart stellte, indem er die Vergangenheit erforschte. Am Donnerstag ist Hans Mommsen an seinem 85. Geburtstag in Tutzing gestorben.

 Hans Mommsen starb am Tag seines 85. Geburtstags.

Hans Mommsen starb am Tag seines 85. Geburtstags.

Foto: dpa

Mit seinem Tod ist auch eine Dynastie von deutschen Historikern an ihr Ende gekommen. Begründer war Hans Mommsens legendärer Urgroßvater, der Althistoriker Theodor Mommsen. Seine "Römische Geschichte" ist ein Standardwerk geblieben und 1902 mit dem Literaturnobelpreis geadelt worden.

Aber auch Hans Mommsens Vater Wilhelm war Historiker, der sich mit seiner Forschung allerdings den Nazis andiente und der deshalb - trotz großer Bemühungen - seine Professur nach Kriegsende nicht mehr wiedererlangte.

Mag sein, dass dieser Teil der Familiengeschichte ihm das Forschungsgebiet diktierte: Hans Mommsen erkundete die Arbeiterbewegung, noch akribischer und zäher aber das Herrschaftssystem der Nazis. Seine Thesen dazu waren neu, wurden oft leidenschaftlich diskutiert und schienen nicht immer ganz ungefährlich zu sein. Wie etwa seine Bewertung Adolf Hitlers. Dessen Verführungskünste nämlich werden nach Meinung des Historikers überschätzt. Mommsen versuchte vielmehr unseren Blick auf die Strukturen und die Funktionen des Systems zu lenken. Aus dieser Perspektive glaubte er eine sich selbst steigernde Radikalisierung auszumachen.

Das hieß: Sehr viele Deutsche waren nicht nur beteiligt am Völkermord, sondern auch verantwortlich und sogar bestimmend für das Grauen. Der Vernichtungswahn der Nazis war danach ein selbstläufiger Prozess. Kritiker allerdings merkten an, dass bei dieser Deutung des sogenannten Dritten Reichs die Figur Hitlers und seine Rolle erheblich unterschätzt werde.

Hans Mommsen, der ab 1968 fast drei Jahrzehnte an der Bochumer Ruhruniversität lehrte, konnte so etwas nicht schrecken. Er war ein leidenschaftlicher Diskutant, ein öffentlicher Gelehrter, dessen Forschung den Lebenden etwas bedeuten sollte. Wegweisend seine Untersuchung über den Zusammenhang von Rüstung, Zwangsarbeit und Vernichtung, dargestellt am Beispiel des VW-Konzerns. Es ist vielleicht sein Meisterwerk. Bedeutsam wurde auch sein Rolle im legendären Historikerstreit. Mommsen war darin auf Konfrontation zu seinem Kollegen Ernst Nolte gegangen, der die Shoah zur Reaktion auf sowjetische Verbrechen erklären wollte.

Hans Mommsen wird den Debatten hierzulande fehlen, weil sein Wissen einen langen Weg gegangen war, bis es für die Gegenwart wirksam werden konnte.

(los)
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