Dresden Lebenslang für Annelis Mörder

Dresden · Die Entführung und Ermordung der 17-jährigen Anneli aus Sachsen wird als unfassbare Tat in Erinnerung bleiben. Weil zwei Täter völlig kopf- und planlos agierten, musste ein junger Mensch sterben.

Am Ende ihrer zweistündigen Urteilsbegründung wendet sich Richterin Birgit Wiegand in ganz persönlichen Worten an die Familie des Opfers. Vater, Mutter, Schwester und Bruder der im August 2015 entführten und ermordeten Anneli aus Klipphausen bei Meißen in Sachsen sind gestern ins Dresdner Landgericht gekommen, um den Schuldspruch für die Angeklagten zu hören. Haupttäter Markus B. bekommt lebenslang und eine besondere Schwere der Schuld zuerkannt. Sein Komplize Norbert K. muss wegen Mordes durch Unterlassen für achteinhalb Jahre ins Gefängnis. Annelis Vater hätte die Mörder seiner Tochter am liebsten in der Hölle schmoren sehen. Doch das biblische "Aug' um Aug'" lässt das deutsche Strafrecht nicht zu, wie das Gericht betont.

Und deshalb ist es Richterin Wiegand vorbehalten, den noch lebenden Opfern der grausamen Tat ein paar Worte für die Zukunft mitzugeben. "Ich glaube nicht, dass Anneli gewollt hätte, dass die ganze Familie darüber zerbricht", sagt Wiegand schon fast beschwörend. Es könne zwar niemand ermessen, was die Familie seit gut einem Jahr durchmache, und es sei furchtbar, dass Anneli all die Pläne für ihr Leben nicht umsetzen könne: "Anneli ist weg, unwiederbringlich. Aber vieles ist noch da: eine funktionierende Familie, Kinder, Enkel und ein Beruf, der Spaß macht." Ob die Worte der Richterin helfen, wird erst die Zukunft zeigen. Unmittelbar nach der Urteilsbegründung fühlt sich Annelis Familie außerstande, den Richterspruch zu kommentieren.

Das hängt wohl auch damit zusammen, dass im Gerichtssaal noch einmal alle Details der schicksalhaften Tage vor gut einem Jahr zur Sprache kommen. Am 13. August wird Anneli von dem heute 40 Jahre alten Markus B. und seinem Komplizen Norbert K. unweit ihres Zuhauses entführt und auf ein Gehöft verschleppt. Die Männer wollen Lösegeld von Annelis Vater, einem Unternehmer, erpressen. Der beschafft am Ende auch die geforderten 1,2 Millionen Euro. Doch wie das Geld übergeben werden soll - das haben B. und K. vorher offenbar nicht ernsthaft bedacht. Auf ein Konto in Malta oder Malaysia soll das Geld überwiesen werden. Als der Vater nach Details fragt, fällt Markus B. nichts Brauchbares ein.

Richterin Wiegand spricht von einer "absolut sinnlosen, dilettantischen Handlungsweise". Dass ein Mensch deshalb sterben musste, wühlt die Richterin auf, gelegentlich gerät sie beim Sprechen ins Stocken. Die Täter hätten extrem feige gehandelt und würden sich nicht ihrer Verantwortung stellen.

Daran ändert auch der letzte Prozesstag nichts. Haupttäter Markus B. betritt mit einem Basecap auf dem Kopf den Saal und verschanzt sich hinter einem Aktenordner. Sein Gesicht will der 40-Jährige - anders als sein Komplize - nicht zeigen. Auch die Urteilsbegründung verfolgt er wie stets auf den Tisch blickend scheinbar teilnahmslos. Markus B., der nach den Worten der Richterin sein Leben auf Lügen aufbaute, zeigt auch am Ende kein Rückgrat. Die Details erschüttern noch immer. B. will Anneli, die am Tag ihrer Entführung mit dem Hund der Familie die abendliche Runde drehte, eigentlich betäuben. Doch irgendwie klappt das mit dem Äther nicht so wie gedacht. Anneli wehrt sich und sieht ihre Peiniger. Dieser Umstand bedeutet ihr Todesurteil. Denn K. macht B. darauf aufmerksam, dass sie nun als Täter identifiziert werden können.

Noch am Abend sucht B. bei Google unter Schlagworten wie "Ersticken", "Ersticken durch Plastiktüten" oder "Selbstmord durch Autoabgase" nach Informationen. Am Tag danach wird Anneli von Markus B. erdrosselt. Ob Norbert K. die Tötung mit ansieht, bleibt unklar. Er wird verurteilt, weil er nichts gegen den Mord unternahm.

Ihr Urteil nehmen die Männer regungslos hin. Auch Annelis Familie ist gefasst. Im Saal bleibt es ruhig. Beifallsbekundungen hätte sich Richterin Wiegand ohnehin verbeten. Gleich zu Beginn nimmt sie jenen den Wind aus den Segeln, die für solche Angeklagten uneingeschränkt die Höchststrafe fordern und die Verteidiger kritisieren. Es sei eine Errungenschaft des Rechtsstaates, dass auch solche Beschuldigten die notwendige Verteidigung bekommen, sagt Wiegand und rechtfertigt das unterschiedliche Strafmaß. Alles andere hätte das Gericht nicht mit sich vereinbaren können: "Das wäre nicht gerecht."

(dpa)
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