Howard Carpendale "Im Kopf fühle ich mich mit 70 viel freier"

Der Sänger feiert heute seinen runden Geburtstag, sein Bühnenjubiläum sei ihm allerdings wichtiger. Das nächste Projekt wird ein Lebens-Buch.

münchen 70 - im Grunde sei ihm diese Zahl ziemlich gleich, sagt Howard Carpendale. Mögen andere, nicht zuletzt in der eigenen Familie, auch Aufhebens um seinen runden Geburtstag machen, den gebürtigen Südafrikaner bringt nach 50 Jahren im Showgeschäft nichts mehr aus der Ruhe. Von Begriffen wie Superstar oder Legende hat der Sänger ohnehin nie etwas gehalten, und so beschäftigen ihn denn auch aktuell weit mehr als die eigene Person und das Musikbusiness die Veränderungen in Politik und Gesellschaft. Seinen Geburtstag feiert er mit seiner Familie im Ausland, "in einem tollen Restaurant".

Manch einen stürzt schon der 50. Geburtstag in die Midlife-Crisis - wie geht es Ihnen mit Blick auf die 70?

Carpendale Ich habe das mit 50 und 60 auch erlebt und damals gedacht: Jetzt wird es aber eng ... Doch mit 70 brauche ich nicht mehr darüber nachzudenken, ob das noch mitten im Leben ist, denn das ist wirklich ein hohes Alter - nur fühle ich mich überhaupt nicht so.

Auch Ihr Körper nicht?

Carpendale Natürlich wäre es Quatsch zu behaupten, ich sei fitter denn je: Ich habe mehr Schmerzen, als ich jemals gehabt habe... Doch im Kopf fühle ich mich viel freier - vielleicht weil auch der Zwang nicht mehr da ist, Erfolg zu haben oder Geld zu verdienen. Unser Ziel bei Tourneen ist es, Spaß zu haben - dann hat auch das Publikum sehr schnell viel Freude daran.

Klingt alles sehr positiv...

Carpendale Ja, ich glaube, ich bin heute besser drauf als vor zehn Jahren. Ich weiß, das sagen viele, aber auch in meinem Umfeld haben alle das Gefühl, dass ich noch sehr viel Energie habe - und ich bin weit entfernt von dem Punkt, wo ich sage: Jetzt wartest du nur noch auf den Tod. Die 70 ist nur eine Zahl - und das spüre ich im Moment mehr denn je.

Auf jeden Fall offenbar auch ein Anlass für eine Autobiografie, die im Frühjahr erscheinen soll.

Carpendale Es ist weniger eine Autobiografie als vielmehr ein Lebens-Buch. Unsere Welt ist derzeit in einem sehr kritischen Stadium - was haben wir nicht alles zuletzt erlebt: Es fing an mit einer Finanzkrise, vor allem in Griechenland, setzte sich fort mit dem Islamischen Staat und den Flüchtlingen, und jetzt sind wir nach dem VW-Abgas-Skandal und der Bestechung im internationalen Fußball bei der weltweiten Terrorangst gelandet. Fast jeden Monat ein neues Thema, das unsere Gedanken von den vorigen Problemen ablenkt - ohne dass letztere gelöst wären.

Machen Ihnen die Terroranschläge des Islamischen Staates Angst?

Carpendale Angst ist ein Wort, das ich in diesem Zusammenhang nicht benutzen würde, aber es ist schon eine Fortsetzung des Irrsinns, den wir seit einiger Zeit erleben, und symptomatisch für eine aus den Fugen geratene Welt. Und ich hoffe sehr, dass wir uns die Courage bewahren, die wir brauchen - denn was geschieht, wenn es hier in Deutschland zu einem solchen Terroranschlag kommt? Wir haben hier bislang noch sehr viel Glück gehabt.

Und all diese Themen greifen Sie nun in Ihrem Buch auf?

Carpendale Entstanden ist diese Idee aus einem Buch, das Yannick Noah verfasst hat: Er hat es gewagt, über 20 Themen seine persönliche Meinung zu schreiben - und so erzähle auch ich die Geschichte meiner Themen von Politik bis Sterbehilfe, jeweils ergänzt durch ein Interview mit mir.

Sie werden nicht nur 70, sondern feiern auch Ihr 50. Berufsjubiläum...

Carpendale ... was ich nicht so beiseite schiebe, denn das ist eine Leistung: 70 zu werden, das schaffen heute die meisten - mein Bühnenjubiläum ist mir da doch weitaus wichtiger.

Was hat sich in dieser Zeit am stärksten verändert im Musikbusiness?

Carpendale Die größte Veränderung steht uns noch bevor, denn wir werden nicht mehr lange erleben, dass Plattenfirmen noch so wie heute funktionieren. Das Streaming verändert die Szene gewaltig - die Musik-CD wird keine zehn Jahre mehr überleben.

Auf Ihrer Tour begleitet Sie Ihre Lebensgefährtin Donnice Pierce - fürchten Sie nicht, dass ein plötzlicher Rückfall in ihre Alkoholsucht Sie selbst emotional mitnehmen wird?

Carpendale Wir sind seit 35 Jahren zusammen und erleben aktuell unsere glücklichste Zeit. Ein Rückfall ist immer möglich, doch für den Fall weiß sie auch, dass ich eine Verpflichtung gegenüber meinem Publikum habe: Sie würde dann allein nach Hause fahren. Aber momentan ist sie gesund, und ich freue mich, denn ich merke, dass ich glücklicher bin, wenn sie in der Nähe ist.

Waren Sie auch mal unglücklich?

Carpendale Die Jahre zwischen 2003 und 2007, zwischen meinem Rücktritt und meinem Comeback, ja sogar noch darüber hinaus, das waren sehr schwierige Zeiten für mich. Ich steckte in einer tiefen Depression, während der ich sogar daran gedacht habe, mein Leben irgendwann zu beenden. Herausgekommen aus diesem sehr tiefen Loch bin ich dadurch, dass ich zwei, drei Jahre nach meiner Comeback-Tour mein Team gewechselt habe...

... und wie ist das heute?

Carpendale Heute wache ich auf und habe das Gefühl, dass ich etwas zu tun habe, was mir wirklich wichtig ist und wo ich selbst ein Ziel und Lösungen finden muss. Kreative Sachen und nicht Briefmarken sammeln: Es gibt da wie jetzt mit der Tour ein konkretes Ziel - und da ich immer mein Bestes geben will, ist das eine schöne Aufgabe, die ich in meinem Leben brauche.

Haben Sie noch unerfüllte Karrierewünsche?

Carpendale Ich möchte meine Karriere in Würde beenden und nicht mehr allzu viele Fehler machen.

CHRISTOPH FORSTHOFF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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