Strack-Zimmermann bei Anne Will: "Jamaika ist nun mal nicht sexy"

Düsseldorf · Ist eine Jamaika-Regierung die beste Lösung für Ost und West? Anne Wills Gäste sind sich nicht einig. Einige quält die Vorstellung, andere wollen die Herausforderung anpacken.

Darum ging's

Eine Woche nach der Wahl scheint ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen die einzige Option für eine Koalition zu sein. Anne Will fragt ihre Talk-Gäste, ob eine Jamaika-Regierung die richtige Antwort auf die Wahlentscheidung wäre. Oder würde das Ost- und Westdeutschland nur noch mehr spalten? Außerdem will sie herausfinden: Welchen Preis sind die möglichen Koalitionäre bereit, für die Regierungsbeteiligung zu zahlen?

Darum ging's wirklich

Vier Politiker und ein Journalist debattieren darüber, wie eine Koalition gelingen könnte. Sie diskutieren, ob die "große Koalition der Vielfalt" enttäuschte Wähler und jene, die für die AfD gestimmt haben, zurückholen können. Dabei sprechen sie viel über den Osten Deutschlands, in dem die AfD die meisten Stimmen geholt hat.

Die Gäste

  • Markus Söder, Bayerischer Staatsminister der Finanzen, CSU
  • Robert Habeck, Stellvertretender Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Bündnis 90/Die Grünen
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann, stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende
  • Petra Köpping, Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, SPD
  • Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung"

Frontverauf

Auf Anne Wills Frage, ob ein Jamaika-Bündnis den Osten und Westen Deutschlands noch stärker trennen würde, hat Journalist Prantl eine pragmatische Antwort parat: Eine andere Koalition sei schlicht nicht denkbar. Der Bund müsse Politik für das ganze Land machen. Die Einheit sei zwar vor 27 Jahren beschlossen, aber noch nicht wirklich vollzogen worden. Das sei ein langer Prozess, zu dem gehörten nun mal Demokratie und Kompromisse.

Auf Kreativität und Kompromisse setzt auch Robert Habeck, der in Schleswig-Holstein die Jamaika-Situation schon geübt hat. "Jamaika hat keiner gewollt oder geplant", sagt der Grüne. Man müsse nun die Herausforderung annehmen und überlegen, wie man die eigenen Ziele erreichen könne, und zwar auf einem Weg, der auch für andere gangbar sei.

Seine Partei wolle vor allem Dynamik: "Wir wollen ja eigentlich alles verändern", sagt er und nennt die Agrar- und Energiewende als Beispiele. Er habe den Eindruck, dass AfD-Wähler Veränderungen nicht mögen. Das passe logischerweise nicht gut zu einem dynamischen Jamaika-Bündnis. Wichtig sei jedoch, in Koalitionsgesprächen trotzdem für jene mitzudenken, die tendenziell keine Veränderung wollten.

Strand, Reggae und vielleicht ein Joint

Markus Söder fallen auf die Frage, was toll sei an Jamaika nur drei Buchstaben ein: "Puh!" Die Düsseldorfer FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat zumindest eine Vision, wenn auch eine etwas andere: "Wenn man über Jamaika spricht und die Augen schließt, sieht man einen Sandstrand und hört Reggae-Musik, hat links einen Cocktail in der Hand und in der Rechten vielleicht einen Joint." Da das kaum zu Berlin passe, macht sie einen anderen Vorschlag: "Man sollte das lieber Schwampel nennen", spielt sie auf eine "Schwarze Ampel" an, "auch wenn das nicht so sexy ist — denn Jamaika ist nun mal nicht sexy."

Markus Söder bringt immer wieder die Obergrenze für Flüchtlinge ins Gespräch, über die eigentlich niemand in der Runde reden will. Petra Köpping erzählt von ihren Touren durch Sachsen, wo 27 Prozent der Wähler für die AfD gestimmt haben. Während ihren Gesprächen mit Bürgern sei zwar auch zuweilen die Furcht vor Fremden erwähnt worden. Vor allem aber hätten Menschen über ihre eigenen Biographien gesprochen.

Lebenspläne wurden zerstört

Die sächsische SPD-Frau, die 30 Jahre in der DDR gelebt hat und anschließend im vereinten Deutschland, warnt, man müsse den Menschen im Osten mehr zuhören. Der Lebenssituation habe sich für viele Menschen dort gravierend geändert. Sie litten darunter, dass ihre Lebensleistungen nicht anerkannt und ihre Lebenspläne zerstört wurden.

Der Analyse stimmt auf seine Art auch Heribert Prantl zu. Die "Maschinerie Marktwirtschaft" sei im Osten angelaufen, man habe viel investiert, zugleich habe die Maschine viel gefressen — etwa alte Lebensläufe und die Stasi. "Man hat geglaubt, wenn ich ungeheuer viel investiere, kommt am Ende Demokratie heraus." Das habe aber schlicht nicht funktioniert.

Der Grüne Habeck erinnert daran, dass Rechtspopulismus nicht allein ein Ostproblem sei. Auch im Westen gebe es Menschen, die Angst vor Altersarmut hätten und sich zurückgelassen fühlten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht das ähnlich, auch in NRW hätten Menschen mit dem Strukturwandel zu kämpfen und litten unter globalen Veränderungen.

"Die Art und Weise, wie Sie abschieben ist eine Sauerei"

Auf der Suche nach Gründen für den Rechtspopulismus landet Markus Söder wieder beim Thema Flüchtlinge und seinem Lieblingswort "Obergrenze", die es festzulegen gelte. Er meint, Bürger wählten die AfD nicht wegen verlorener Lebenspläne. Ein Großteil der Menschen sei vielmehr unsicher, ob das Land noch das ihre sei. "Nach Deutschland kommt man ohne Pass hinein, aber ohne Pass hinaus geht nicht mehr", kritisiert er die Schwierigkeiten bei Abschiebungen von Straftätern.

Heribert Prantl reagiert aufgebracht: "Es gibt Abschiebungsgesetze, und die setzen nicht Sie fest oder die CSU", wettert der Journalist. "Die Art und Weise, wie Sie aus Bayern nach Afghanistan abschieben lassen, ist ‘ne Sauerei", sagt Prantl. "Der Rechtsstaat ist dann gewahrt und eingehalten, wenn er in jene Staaten, in denen Menschenleben gefährdet sind, nicht abschiebt. "

Auch Habeck geht Söders Beharren auf die Nerven. Der Grüne schlägt vor, nach vorne zu gucken und nicht immer wieder auf "ollen Kamellen" rumzureiten. Politik müsse bodenständig sein, aber müsse auch Identitäts-Ideen formulieren, etwa zu einer gemeinsamen Heimat, zu Deutschland und Europa.

Wie findet sich die Koalition?

Anne Will möchte schließlich wissen, ob die Parteien sich nicht zu viel Zeit ließen, bei ihren Koalitionsüberlegungen. Strack-Zimmermann sagt, die FDP freue sich auf die Gespräche und gehe "völlig entspannt und locker" in die Verhandlungen. Es gehe ihr nicht um Strategien, sondern ausschließlich um Inhalte, um neue Technologien und den Arbeitsmarkt. Vor allem dürfe der Bund die Kommunen bei Verbesserungen im Bildungsbereich künftig nicht so allein lassen.

"Meine große Sorge ist, dass eines Tages eine AfD, die völkisch-national denkt, homophob und fremdenfeindlich ist, sich völlig normal in diesen Demokratiebetrieb einschleust", so die Düsseldoferin. "Das wird unsere Aufgabe sein, das zu verhindern."

Prantl hingegen wirft der CSU vor, sie halte die Verhandlungen auf und lähme den Prozess, weil sie nicht wisse, ob sie nun Söder oder Seehofer an der Spitze haben wolle. Habeck sagt: "Mir persönlich ist völlig wurscht, wer CSU-Vorsitzender ist, aber Herr Prantl hat recht, wir müssen mal in die Gänge kommen."

(juju)
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