TV-Talk mit Maischberger “Klimawandel ist wie ein Asteroideneinschlag in Superzeitlupe”

Extrem dank Klimawandel oder nur "viel schlechtes Wetter"? Sandra Maischbergers TV-Gäste haben über Wissenschaft und Glaubenstheorien diskutiert - und kontroverse Überzeugungen zur Erderwärmung ausgetauscht.

Klimawandel: Was auf uns zukommt
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Darum ging's

Sturmtief "Xavier", Waldbrände, Hurrikans und andere teils tödliche Wetter- und Naturereignisse nimmt Sandra Maischberger zum Anlass für eine Reihe teils provokanter Fragen: Kippt unser Klima? Und falls ja: Was sollten wir dagegen tun? Nehmen die Wetterextreme tatsächlich zu? Sind sie eine Folge des Klimawandels? Sollte der Staat radikaler eingreifen und SUVs, Flugreisen und Kinderreichtum begrenzen?

Darum ging's wirklich

Zwei Politikerinnen, ein Schweizer Klimaskeptiker, ein -forscher und ein Wetterprofi diskutieren übers Wetter - aber nicht nur. Sie besprechen auch, wie und ob wir zu den Wetterextremen beitragen, und wie wir mit Veränderungen des Klimas umgehen können. Die Runde debattiert, inwieweit es bei Diskussionen über die Klimawissenschaft um "Glaubensfragen" gehen darf oder ob politisches Handeln im Vordergrund stehen sollte.

Die Gäste

  • Jörg Kachelmann, Meteorologe
  • Dorothee Bär, CDU-Staatssekretärin
  • Bärbel Höhn, ehemalige NRW-Umweltministerin, B'90/Grüne,
  • Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher
  • Alex Reichmuth, Schweizer Wissenschaftsjournalist

Frontverauf

Sandra Maischberger will zum Einstieg wissen, ob es eher "so ein Gefühl" ist, dass Stürme heftiger, Brände häufiger und Unwetter extremer werden oder ob sich diese Veränderung beweisen und eventuell durch den Klimawandel begründen lasse. Jörg Kachelmann nennt Deutschlands Wetterstatistik für 2017 eher durchschnittlich. Ungewöhnlich an Sturmtief "Xavier" sei nur, dass er im Oktober kam, häufiger seien derlei Winde im Dezember. Da "Xavier" vor allem rund um Berlin gewütet habe, sei er stärker wahrgenommen worden, "weil da so viele Journalisten mit Kameras rumlaufen", verteilt er einen Seitenhieb Richtung Medien.

Ernsthafter widmet sich Kachelmann der Frage, ob Stürme weltweit häufiger und stärker würden. Inwieweit Starkregen mit der Klimaerwärmung zu tun habe, werde derzeit noch ausgewertet. Bisher sehe man jedoch keine Häufung der tropischen Wirbelstürme und auch keine Zunahme der der starken Stürme. Kalifornien sei "furztrocken", und dort brenne es regelmäßig.

"Da ruft der Berg nicht nur…"

Erdrutsche und Gletscherschmelzen in der Schweiz hätten allerdings durchaus mit höheren Temperaturen und höheren Taupunkten zu tun, die mehr Schwüle, also mehr Wasser in der Luft mit sich brächten. "Da ist das Potenzial da, das mehr runter kommt", so Kachelmann. "Früher wurde in den Schweizer Bergen alles mit Eis zusammengehalten. Wenn Temperatur steigt, dann ruft der Berg jetzt nicht nur, es setzt ein gewisses Bröckeln ein."

Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber erinnert daran, zwischen Wetter und Klima zu unterscheiden und gibt Kachelmann recht: Herbststürme seien das schlechteste Beispiel, um Klimaerwärmung zu belegen. Werte man Daten allerdings weltweit aus, sehe man durchaus einen steigenden Trend zur Erderwärmung bei besonders starken Niederschlägen: "2014, 2015 und 2016 waren die drei wärmsten Jahre in Folge." Langsam aber sicher kletterten wir "von Rekord zu Rekord".

Die beiden Politikerinnen diskutieren, ob nun der Mensch zu hundert Prozent oder eher etwas weniger zur Erderwärmung beigetragen hat. CDU-Frau Bär ist wichtig, zu betonen, die Politik dürfe nicht "hysterisch" reagieren, sondern müsse Arbeitsplätzen und Bürgern zuliebe ein "vernünftiges Gleichgewicht" finden. Höhn will weg vom Debattieren übers Verursachen und mahnt, an die Zukunft zu denken: Beim Pariser Klimaabkommen habe man sich geeinigt, die Erderwärmung möglichst unter 2 Grad zu belassen. Daran müsse man arbeiten.

Alex Reichmuth, der sich selbst "Klimaleugner" nennt, macht seinem Unwillen Luft: Die Vorstellung, dass der Mensch das Klima lenke und weniger Stürme erwirken könne, sei doch "eine absolute Hybris". Schellnhuber versucht, die Diskussion zu versachlichen und zitiert Forschungsergebnisse, denen zufolge die Erwärmung "ohne Einfluss des Menschen zu 99,99 Prozent nicht in dieser Geschwindigkeit und in diesem Ausmaß stattgefunden hätte." Nach Ansicht des Weltklimarates liege der Anteil des Menschen bei 60 Prozent.

"Zurück ins Mittelalter"

Klimarat und Klimaabkommen sind Lieblingsfeinde von Alex Reichmuth. Die Pariser Einigung beschimpft er als "Pseudoabkommen", es sei "das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde". Würde man den Klimaschutz durchziehen und auf Öle und Gas verzichten, käme eine größere Katastrophe auf uns zu als jede Klimakatastrophe: "Wir würden zurückfallen ins Mittelalter, Hungersnöte und Tod würden folgen", prophezeit er.

Der Schweizer Journalist hat der Runde eine Broschüre der Zeugen Jehowas mitgebracht, deren Titelseite verspricht zu erläutern, wie man sich bei Katastrophen das Leben retten könne. Ganz ähnlich religiös, so Reichmuth, kämen ihm die "Untergangs-Szenarien und die große Einigkeit" der Klimaforscher vor. Die Frauen in der Runde schlagen vor, er möge doch seine Überzeugungen mal mit Wissenschaftlern diskutieren. Der Schweizer bleibt bei seinem Standpunkt: Das sei nicht nötig, die ganze Theorie sei "getürkt und durch den öffentlichen Diskurs gefärbt".

Trump ist "ein Störfaktor aber letztlich irrelevant"

Auf die Frage, welche Rolle Donald Trumps Ankündigung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, spielen wird, reagieren die Politikerinnen gelassen. Dorothee Bär meint, der US-Präsident sei ohnehin in vier oder spätestens acht Jahren wieder weg, unterdessen müsse man sich um die Realitäten kümmern. Bärbel Höhn findet interessant, das was auf oberster Ebene in den USA verkündet werde, wenig mit der Realität zu tun habe: "Zu uns kommen unterdessen ja einzelne Staaten der USA und wollen in erneuerbare Energien investieren, sie agieren anders und schaffen Arbeitsplätze mit erneuerbaren Technologien."

Dann erinnert Höhn daran, dass Deutschland mit erneuerbaren Energien 370.000 Arbeitsplätze geschaffen habe. An den gut 40 Prozent Kohle, die derzeit noch im Energiemix verwendet würden, hingen demgegenüber ungefähr 20.000 Arbeitsplätze. "Gerade mit Erneuerbaren schaffen wir Jobs", sagt Höhn. "China macht uns das gerade mit der Photovoltaik vor."

Auch Schellnhuber ist dafür, den "Kampf gegen Klimawandel weniger als Bürde denn als Chance" anzusehen. Trump habe das Klimaabkommen offenbar nie gelesen und auch nicht begriffen, "dass der Zug in Richtung Kreislaufwirtschaft und Innovationen abfährt und die USA ihn am Ende verpassen wird." Er hält Trump für einen "großen Störfaktor, aber letztlich fast irrelevant für den Klimaschutz."

Von den beiden Politikerinnen will Sandra Maischberger wissen, wie ernsthaft eine mögliche Jamaika-Koalition den Aussteig aus der Kohle betreiben will. Bärbel Höhn sagt ein Abschied von der Kohle bis 2030 sei realistisch, Dorothee Bär will sich nicht auf Jahreszahlen festlegen. Ihr sei vor allem wichtig, die Lebensqualität nicht zu gefährden.

Weniger fliegen, fahren und Familien schrumpfen?

Zuletzt legt Sandra Maischberger eine Studie der schwedischen Universität Lund vor. Die rät, Bürger könnten sich aktiv am Klimaschutz beteiligen, indem sie nicht mehr Auto fahren und fliegen und ein Kind weniger pro Familie hätten. Schellnhuber mag solch "lauten Popanz" nicht hören: Derlei Forderungen erwiesen der Sache keinen Dienst, weil sie Leute nur abschreckten. Reiche Länder trügen ohnedies nicht zur Überbevölkerung bei, er möchte lieber Investitionen in Innovationen und Technik sehen. Im Bereich des Flugverkehrs etwa, oder in der Rindfleischproduktion, die zu 60 Prozent der Emissionen beitrage, seien durchaus noch innovative Lösungsansätze gesucht.

Schellnhuber spricht vom Meeresspiegelanstieg, der bis zum Jahr 3000 bis zu 70 Meter betragen könne, aber sich lange vorher im Verschwinden der Korallenriffe und anderen Veränderungen zeige. "Klimawandel ist wie ein Asteroideneinschlag in Superzeitlupe", sagt er und fragt: "Wenn wir technische Alternativen finden könnten, warum sollten wir es dann nicht versuchen?"

Auch CDU-Frau Bär will lieber Anreize als Verbote schaffen. In ihrem ländlichen Wahlkreis könne kaum jemand auf sein Auto verzichten. Höhn hält ebenfalls innovative Mobilitätskonzepte für sinnvoller. Außerdem erinnert sie daran, der Staat könne weniger "SUVs und dicke Autos und Dienstwagen" subventionieren. Jörg Kachelmann wünscht sich von den Politikern, sie mögen bitte mehr in Internetgeschwindigkeiten investieren. Wenn Mitarbeiter seines Wetterdienstes auf dem "Lande nicht an alten Kupferdrähten" hingen, könnten sie auch von zu Hause arbeiten und müssten gar nicht ins Auto steigen.

(juju)
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