TV-Kritik "Anne Will" Die Sachsen sind der Sündenbock

Düsseldorf · Totalversagen oder unglückliche Fügung – das diskutierten die Gäste in der Talkrunde bei Anne Will. Der Selbstmord des terrorverdächtigen Syrers al-Bakr war über weite Teile einziges Thema der Sendung am Sonntagabend. Der sächsische Justizminister wurde dabei zum politischen Sündenbock auserkoren.

Totalversagen oder unglückliche Fügung — das diskutierten die Gäste in der Talkrunde bei Anne Will. Der Selbstmord des terrorverdächtigen Syrers al-Bakr war über weite Teile einziges Thema der Sendung am Sonntagabend. Der sächsische Justizminister wurde dabei zum politischen Sündenbock auserkoren.

Darum ging's: "Der Fall al-Bakr — ist der Staat dem Terror gewachsen?" Diese Frage sollte die Runde um Moderatorin Anne Will diskutieren. Wäre der Fall ein "Polizeiruf", dann würde man manches daran gar nicht glauben, sagte Anne Will zu Beginn. "Was sagt das über den Zustand der deutschen Terrorbekämpfung aus?"

Darum ging's wirklich: Ein großer Teil der Sendung drehte sich um die Frage, ob die sächsische Justiz versagt hat, weil sich der terrorverdächtige Gefangene Dschaber al-Bakr selbst umgebracht hat. Dazu wurde der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow auf die Schlachtbank geführt.

  • Sebastian Gemkow (CDU), sächsischer Justizminister
  • Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Innenminister
  • Katja Kipping, Parteivorsitzende der "Linken"
  • Georg Mascolo, investigativer Journalist, Rechercheverband SZ, WDR und NDR
  • Abdul Abbasi, syrischer Videoblogger

Der Frontverlauf:

Im ersten Drittel der Sendung musste sich der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) dafür rechtfertigen, was in der vergangene Woche in einem seiner Gefängnisse passiert ist: Der Selbstmord des terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr, der wohl kurz vor einem islamistischen Sprengstoffanschlag stand und in der vergangenen Woche festgenommen worden war.

Schon mit der Festnahme habe die Pannenserie begonnen, schließlich sei es dem sächsischen Landeskriminalamt nicht gelungen, den mutmaßlichen Terroristen festzusetzen. Stattdessen wurde er einen Tag später von drei Landsleuten enttarnt und überwältigt, die dann die Polizei riefen.

Sebastian Gemkow war während der Sendung in der Rolle des Schuldigen. Nicht nur Moderatorin Anne Will sondern auch der Journalist Georg Mascolo und die Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping hackten auf dem sächsischen Justizminister herum. Während dieser sich was die Suizidgefahr angeht auf die Einschätzung des Gefängnispersonals und einer Psychologin berief, warfen ihm die anderen Diskussionsteilnehmer Dilettantismus vor. Man hätte die GSG 9 oder andere Bundesländer um Hilfe fragen müssen, sagte der investigative Journalist Georg Mascolo. Und Katja Kipping sprach vom "Versagen der sächsischen Justiz".

Nur der bayerische Ministerpräsident Joachim Herrmann sprang seinem Ministerkollegen aus Sachsen bei. Die Hauptaufgabe des Staates in so einem Fall sei die Verhinderung von Anschlägen, sagte Herrmann. Und dies sei gelungen. Er schlug vor, eine Videoüberwachung in den Zellen bei suizidgefährdeten Gefängnisinsassen auch in den anderen Bundesländern einzuführen.

Der syrische Videoblogger Abdul Abbasi kritisierte, dass die Syrer in Deutschland nicht genug miteinbezogen worden seien. Er kritisierte beispielsweise, dass der Fahndungsaufruf nicht auch auf arabisch veröffentlicht worden sei. Auch dafür wurde wieder der sächsische Justizminister verantwortlich gemacht.

Der bayerische Justizminister führte noch einmal an, dass ein Vorfall wie in Sachsen auch im Gefängnis Stuttgart-Stammheim hätte passieren können, wo viele Tatverdächtige inhaftiert werden, die in den Bereich der Bundesanwalts fallen. Er erinnerte an den Selbstmord der RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe vor rund 40 Jahren.

Zuletzt ging es um die Frage der Radikalisierung und vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen. Dem Videoblogger Abbasi kritisierte vor allem den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann, dass dieser durch eine Überbetonung des Sicherheitsaspekts bei der Aufnahme von Flüchtlingen diese diskriminiere. Das wollte Herrmann nicht stehen lassen. Schließlich wolle man mit den Sicherheitsmaßnahmen verhindern, dass der syrische Konflikt nach Deutschland "importiert" werde, damit auch Syrer wie Abbasi friedlich in Deutschland leben könnten.

Am Ende ergriff noch einmal Georg Mascolo das Wort. Er warnte davor, den Terroristen in die Hände zu spielen, in dem man eine Spaltung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den eingewanderten Muslimen erzeuge. "Terroristen sind Fallensteller, sie leben davon, dass Gesellschaften nicht klug genug reagieren, dass sie überreagieren", sagte Mascolo. "Terroristen haben das Ziel, eine Spaltung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Muslimen zu erreichen, und dieses Ziel muss man ihnen verweigern."

(heif)
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