TV-Talk mit Maybrit Illner "Salafisten haben in NRW mehr Freiheiten"

Düsseldorf · Vier Politiker streiten bei Maybrit Illner über die innere Sicherheit. Alle wollen mehr Polizei und Prävention. Für die Gefahr durch Salafisten in NRW allerdings braucht es offenbar neue Lösungen.

Darum ging's

Bürger wünschen sich mehr Sicherheit, doch die Gewalt in Deutschland nimmt laut Kriminalstatistik zu. Zwei Drittel aller Deutschen sagen, es gebe mehr Situationen, in denen sie sich gefährdet fühlten. Maybrit Illner will von Politikern, deren Parteien im Düsseldorfer Landtag vertreten sind, wissen, wie sie die Sicherheit im Land verbessern wollen. Die Runde soll sich nicht allein mit Räubern und Dieben in NRW befassen: Thematisiert werden auch organisierte Banden aus Osteuropa, Gewaltkriminalität junger Zuwanderer sowie der Umgang mit Salafisten.

Darum ging's wirklich

Eine lange Zeit streiten die Politiker, welche Regierungsparteien mehr Polizisten einstellen wollen und warum das nicht längst geschehen ist. Sie debattieren die Abschiebung von Kriminellen, kritisieren die Untersuchung des Falls Amri, und fordern mehr Prävention. Das parteipolitische Gezänk ist weniger erhellend. Von der Salafismusforscherin Käsehage allerdings erfahren Gäste und Zuschauer Interessantes über die Szene in NRW.

Die Gäste

  • Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag
  • Wolfgang Kubicki, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender
  • Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende
  • Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, ehemalige Parteivorsitzende (Die Grünen)
  • Beatrix von Storch, stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD
  • Tania Kambouri, Polizeibeamtin, Autorin "Deutschland im Blaulicht - Notruf einer Polizistin"
  • Nina Käsehage, Religionswissenschaftlerin und Salafismus-Forscherin
  • Olaf Sundermeyer, Journalist und Autor, "Bandenland. Deutschland im Visier von organisierten Kriminellen"

Frontverlauf

Julia Klöckner darf als erste auf die großen regionalen Unterschiede in der Kriminalitätsstatistik hinweisen, nennt aber Deutschland nach wie vor für ein sehr sicheres Land. Da geben ihr auch Oppermann und die Grünen-Politikerin recht. Claudia Roth sagt, man müsse das schwindende Sicherheitsgefühl der Deutschen ernst nehmen, ohne zugleich neue Ängste zu schüren. Wolfgang Kubicki bringt die Polizistenzahlen ins Spiel und sagt. "Wir haben ein Kapazitätsproblem, wir haben über eine Million mehr Menschen, aber nicht entsprechend mehr Sicherheitskräfte."

"In Dortmund ist das Einbruchsrisiko fünf mal so hoch"

Olaf Sundermeyer, ein Dortmunder Autor, der über organisierte Kriminalität schreibt, sagt, dass das Risiko eines Wohnungseinbruchs in Dortmund fünf mal so hoch sei wie in München. Osteuropäische Banden entwickelten seiner Recherche nach in der Region eine fast industrielle Kriminalität. Der Anstieg sei drastisch, vor allem seit der Schengenraum sich vor zehn Jahren gen Osten geöffnet habe. Maybrit Illner blendet dazu eine Statistik ein, nach der zwei Drittel der organisierten Kriminalität von Nichtdeutschen verübt wird.

Wenig ergiebig bleibt die anschließende Debatte, wer nun Schuld daran sein mag, dass Stellen bei der Polizei abgebaut und dann nicht rasch genug wieder besetzt wurden. Vor allem Julia Klöckner und Claudia Roth finden keinen gemeinsamen Nenner dafür, wer nun für die meisten Lücken zuständig ist. Einig sind sich die vier Politiker in der Hauptrunde immerhin darüber, dass mehr Polizeipräsenz sinnvoll und wünschenswert ist.

"Polizei wird oft im Stich gelassen"

Tania Kambouri, Kriminaloberkommissarin aus Bochum, die selbst im Einsatz schon Opfer von Gewalt wurde, sagt: "Hass und Respektlosigkeit haben zugenommen". Sie fühlt sich von Politik und Justiz im Stich gelassen und berichtet, dass gerade viele Immigranten die Polizei nicht für voll nehmen, vermutlich auch, weil sie oft gar nicht verurteilt würden. Sie begrüßt, dass auch Einbruchsdelikte künftig härter bestraft werden sollen.

Wenn nur 1,5 bis 3 Prozent aller Einbrecher verurteilt würden, sei klar, dass Bürger und Polizei enttäuscht seien, gibt der ehemalige Richter Thomas Oppermann zu. Allerdings sind seiner Ansicht nach auch Staatsanwälte und Richter total überlastet. Die Polizei indes mache nach Wohnungseinbrüchen oft nur "Beileidsbesuche", ohne im Nachhinein wirklich zu ermitteln.

"Straffällige abschieben"

Am Nebentisch befragt Illner Beatrix von Storch. Eigentlich hatte dort die Migrationsexpertin Sevim Dagdelen von der Linken mit der AfD-Politikerin diskutieren sollen. Die sagte jedoch Agenturberichten zufolge kurzfristig ab — angeblich war die Linke beleidigt, am "Katzentisch" stehen zu müssen, statt mit den großen Parteien in der Hauptrunde. Von Storch betont, wie wichtig ein Einwanderungsgesetz sei, unterscheidet zwischen Migranten und Flüchtlingen und bekräftigt ihre Forderung, Straffällige auszuweisen.

Wolfgang Kubicki hat damit ein Problem: Man müsse mehr verurteilen und in Haft nehmen. "Bagatellkriminelle können wir oft nirgends hin abschieben, weil sie keine Papiere haben und wir nicht wissen, wohin wir sie abschieben sollen."

Heftige Kritik übt vor allem Thomas Oppermann anschließend an der Zusammenarbeit der Behörden im Fall Amri. Dort seien "kapitale Fehler" gemacht worden, die sich nicht wiederholen dürften. Der Terrorist, der bei seinem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin zwölf Menschen tötete, sei in sieben verschiedenen Behörden bekannt gewesen. Claudia Roth wirft der Bundesregierung vor, die Analyse des Falls zu blockieren.

"Gefährder" wandern nach NRW

Aufschlussreich ist dazu der Beitrag der Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage. Die Expertin hält im Gespräch mit Illner einen Untersuchungsausschuss im Fall Amri ebenfalls für notwendig. Es gebe noch viele Ungereimtheiten, es sei auch immer noch nicht klar, ob er eventuell ein V-Mann gewesen sei. Dass sich von 650 sogenannten "Gefährdern" der islamistischen Szene in Deutschland 316 in NRW aufhalten, ist nach Ansicht der Salafismus-Expertin kein Zufall.

"Sogenante Gefährder haben hier viel mehr Freiheiten als anderswo", begründet die Wissenschaftlerin, weshalb die Region ein Brennpunkt der Szene sei. "Es gibt eindeutig eine Abwanderung von radikalen Salafisten aus anderen Bundesländern nach Nordrhein-Westfalen", sagt sie. Grund sei, dass sie in NRW nicht die gleichen Repressionen erlebten wie in anderen Ländern. Käsehage fordert, statt symbolträchtiger Formulierungen die Arbeit in den Gemeinden zu unterstützten, und Elternprogramme und Streetworker zu fördern um diese Gefahren zu verhindern. Würde man diese Gefährder in ein anderes Land abschieben, schiebe man einfach das Problem weiter statt es zu lösen.

Spitze Bemerkung des Abends

"Frau Klöckner, Sie sind doch für die Leitkultur. Wie wär's denn da mal mit ausreden lassen?" (Claudia Roth)

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