TV-Nachlese Maybrit Illner "Der Sozialstaat ist nicht gefährdet"

Düsseldorf · Der Flüchtlingszuzug hat herzlich wenig mit den aktuellen Armutszahlen zu tun - darin war sich die Talk-Runde bei "Illner" zum neuen Armutsbericht einig. Spannend war der Schlagabtausch zwischen Ifo-Chef Clemens Fuest und Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Darum ging's: "Abstiegsangst im reichen Land — warum wächst die Wut?", wollte Maybrit Illner von Ihren Gästen wissen. Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf: Dem aktuellen Armutsbericht des Statistischen Bundesamtes zufolge sind heute deutlich mehr Menschen von Armut bedroht als noch vor zehn Jahren. Illner wollte von ihren Gästen deshalb wissen: Ist die Stimmung schlechter als die Lage? Wer ist verantwortlich für die soziale Spaltung?

Darum ging's wirklich: Haben die Deutschen wirklich weniger in der Tasche oder ist das nur ein Gefühl? In der Runde wurden vor allem die Ängste der Bürger und die Rolle des Flüchtlingszuzugs thematisiert.

Die Gäste:

  • Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz
  • Ralph Brinkhaus (CDU), stellv. Fraktionsvorsitzender
  • Franz Meurer, Pfarrer aus Köln
  • Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung
  • Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverbands
  • Thomas Fricke, Wirtschaftsjournalist

Der Frontverlauf: Ein Großteil der Diskussion drehte sich um einen, der gar nicht am Tisch saß: Wolfgang Schäuble. Er hatte vor zwei Wochen in einem ZDF-Interview zu den Abstiegsängsten der Bürger geäußert: "Es gibt bisher keinen Menschen in Deutschland, der einen Euro weniger bekommt, weil Flüchtlinge zu uns gekommen sind."

Im Grundsatz wollte dieser Aussage auch niemand am Tisch widersprechen. Es dürfe nur nicht passieren, dass man über die Flüchtlinge die Armutsgefährdeten in Deutschland vernachlässige, mahnte Malu Dreyer.

Das habe man bisher eingehalten. Es gelte, mit besseren Bildungsinitiativen eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Der Meinung war auch Pfarrer Meurer, der aus seiner Gemeinde in Köln Vingst berichtete: "Wenn man in Menschen und Bildung investiert, dann dauert es aber 25 Jahre, bis man die Früchte ernten kann.”

Wirklich spannend wurde es das erste Mal nach 10 Minuten, als ifo-Präsident Clemens Fuest und Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband aneinander gerieten: "Natürlich sind die Kosten für Flüchtlinge eine Belastung. Aber der Sozialstaat ist nicht gefährdet”, sagte Fuest. Darüber hinaus sei die Armut in Deutschland im Durchschnitt kaum gestiegen.

Den letzten Teil wollte Ulrich Schneider so nicht stehen lassen: "Den Durschnitt gibts nur auf Papier, den lebt keiner" griff er Fuest an. "Wir haben schlicht zu viele arme, die sich abgehängt fühlen." Im Moment gebe es rund 7,5 Millionen Menschen, die Fürsorgeleistungen beziehen, davon sind etwa eine Million Langzeitarbeitslose. Deren Vermittlung koste Geld, aber die Mittel dafür reichten höchstens für einen Placebo-Effekt, sagte Schneider in Richtung der Bundesregierung. "Das hört sich ja hier an, als wären wir im Tal der Tränen”, hielt Fuest dagegen. Deutschland gehe es gut, man brauche nicht so viele künstliche Arbeitsplätze.

In einem stimmte Schneider Fuest aber zu: Mit dem Flüchtlingszuzug habe das Armutsrisiko nichts zu tun, denn die seien gar nicht in den Armutsbericht mit eingerechnet. "Die Zuwanderer aus Europa bringen im Saldo mehr Steuern als sie an Unterstützung erhalten.”

Ralph Brinkhaus und Thomas Fricke erschienen neben dem Schlagabtausch zwischen Fuest und Schneider eher wie Randfiguren. Für Lacher sorgte dagegen immer wieder der bodenständige Pfarrer Meurer aus Köln, der von der Tafel und der Fahrradwerkstatt in seiner Gemeinde erzählte. Seine Forderung an die Bundesregierung: "Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein.” Soziale Leistungen müssten für alle gut sein.

Spruch des Abends: "Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich sein.” - Pfarrer Franz Meurer

Erkenntnis: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst erstellt hast: Die Zahlen aus dem aktuellen Armutsbericht haben wenig mit dem Flüchtlingszuzug der Jahre 2015 und 2016 zu tun. Trotzdem muss sich die Politik überlegen, wie sie den Spagat zwischen Integrationskosten und Armutsbekämpfung in Zukunft meistern und vermitteln will.

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