"Stern TV" zu maroden Schulen "Auf der Toilette riecht es nach Rinderzucht"

Köln · Das RTL Magazin spielt am Mittwochabend die emotionale Karte bei allen fünf Themen aus. Das aufregendste Thema inszenierte "Stern TV" rund um die Umfrage: "Wie marode sind Deutschlands Schulen?".

 Steffen Hallaschka moderiert "Stern TV".

Steffen Hallaschka moderiert "Stern TV".

Foto: RTL/Stefan Gregorowius/i&u TV

Emotion beschert Quote, das weiß die "Stern TV"-Redaktion. Die Sendung war wie eine geführte Pauschalreise durch die Gefühlswelt. Das erste Thema: Auch nach elf Jahren ist ungeklärt, wie die Würzburgerin Simone Strobel in Australien ermordet wurde.

"Innen ist immer die Trauer dabei", sagte die Mutter in dem Einspielfilm. Vom Leben mit der Ungewissheit erzählten Vater Gustav Strobel und Bruder Alexander im Studio. "Simone ist allgegenwärtig", sagte Vater Gustav. Und Alexander betonte, wie eng die Bruder-Schwester-Bindung gewesen sei. Der Fall bewegte. Dass die Familie nicht loslassen kann, verdeutlichte die Hilflosigkeit. Die ist so groß, wie der unrealistische Wunsch nach Aufklärung. Die reißerische RTL-Aufmachung und das Klagen der Familie aber zog sich über eine halbe Stunde — und überstrapazierte die Empathie-Fähigkeit des Zuschauers.

Die Wende folgte auf den Fuß. Aus Mitleid sollte Empörung werden: Mit Salman Tyyab schickte "Stern TV" einen Reporter mit pakistanischen Wurzeln in die hessische Stadt Büdingen. Dorthin, wo 10,2 Prozent der Bürger bei der Kommunalwahl die rechtsextreme NPD wählten. "Ich finde das super!", lallt ein Büdinger in die Kamera und erfüllt das Klischee der Stammtisch-Parole, denn er wird angetrunken in einer Bar sitzend befragt. "Ich hab nichts gegen Ausländer, aber irgendwann muss man an das eigene Volk denken", sagt eine Hausfrau. Sie gibt zu, "die" (NPD) gewählt zu haben, sodass RTL auch die Rolle des "naiven Dummchens" besetzen konnte. Den Bürgermeister interviewte Moderator Hallaschka live im Studio. "Büdingen hat kein Problem mit Rechtsextremismus", sagte Erich Spamer und brachte zum Schluss ein wenig Räson in die Debatte um die 21.000-Einwohner-Stadt.

In einer großen Umfrage hatte die Redaktion von "Stern TV" Eltern und Schüler aufgerufen, Auskunft über den Zustand deutscher Schulen zu geben — das hatte der WDR zwei Wochen zuvor bei Schulleitern erfragt. Bei "Stern TV" beteiligten sich fast 1400 Eltern und Schüler an der Umfrage. Knapp die Hälfte sagte, ihre Schule sei renovierungsbedürftig. Schimmel, Löcher und herabfallende Deckenleuchten: Der Sanierungsbedarf liegt bei 32 Milliarden Euro.

Die heikelste unter den Fragen: "Wie steht es um die Toiletten an der Schule?" Zwölf Prozent der Kinder nutzen die Toiletten "gar nicht", 47 Prozent gehen "nur im Notfall". Außerdem fehlten Toilettenpapier, Seife und Papiertücher — die nach Rinderzucht stinkende Wahrheit in den Bildungseinrichtungen. Dass das zu einem nicht irrelevanten Teil an den Schülern selbst liegt, blieb ungesagt. Stattdessen sollte die Empörung wachsen. Das funktionierte, Twitter erwachte nach einer Stunde Sendezeit.

Auf abstoßende Bilder aus den Schulen folgte die Suche nach Schuldigen. Mit Thomas Hunsteger-Petermann hatte Hallaschka den Vorsitzenden des NRW-Städtetags und Oberbürgermeister von Hamm zu Gast. NRW gebe am wenigsten Geld für die Schulsanierung aus, stellte Hallaschka in den Raum. "Wir haben eben nur fünf Millionen Euro für Spielplätze, Straßen, Jugendzentren und die Schulsanierung." Wirklich beeindruckend war, dass sich der Oberbürgermeister nicht in die Rolle des schuldigen Politikers drängen ließ. "Was glauben Sie, worüber wir beraten? Dass wir da Karten spielen?" Ein Lichtblick der Sendung.

Unverständnis: Eine vorbildlich integrierte Familie ohne Chance

Strahlend scheint die Sonne, als Familie Sageri in ihrem neuen bayerischen Zuhause vorgestellt wird. Eltern und Kinder lernen Deutsch, Mutter Ela und Vater Renard sind gemeinnützig für ein Mini-Gehalt aktiv. Dörfliche Idylle. Doch dann der Twist: Bleiben darf die Flüchtlings-Familie aus Albanien nämlich nicht. Diesmal fand Stern TV den Schuldigen: die deutschen Behörden. Im Rückführungslager soll die Familie das Asylverfahren abwarten. Der empörte Bürgermeister sprach von "Unmenschlichkeit". "Diese Familie tut uns nur gut", sagte eine Einwohnerin. Das Unverständnis war nachvollziehbar. Allein, es fehlte erneut der objektive Blick. Denn ungesagt blieb, dass Albanien faktisch als sicherer Staat gilt.

Reisethemen kurz vor der Urlaubszeit sind wie ein täglich grüßendes Murmeltier. In dieser Sendung kamen sich Verbraucher "verarscht und betrogen" vom Reiseportal "Ab in den Urlaub" vor. Versprochene Reisegutscheine wurden nicht ausgezahlt. Das Leipziger Unternehmen redet sich mit "Problemen bei der Buchhaltung" heraus. Auf "tausende Fälle", bezifferte die Verbraucherzentrale München die Zahl bundesweit.

In wie vielen Fällen der Fehler beim Kunden lag, ist nicht bekannt. Ironischerweise lag der Fehler ausgerechnet in dem Fall, den "Stern TV "vorstellte, an einer fehlenden Bankangabe des Kunden. Am Ende der Verbraucher-Wut gab es aber doch einen Helden: "Stern TV" selbst. Denn im Zuge der TV-Recherche erhielt eine Kundin ihre 100 Euro (!) als Scheck. Herzlichen Glückwunsch!

(ball)
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