Hamburg Seelenstriptease beim Wellness-Urlaub

Hamburg · Die Dialoge sind improvisiert, das Ergebnis ist großartig: "Wellness für Paare" taucht tief ein ins Beziehungswirrwarr.

Zuallererst zeigt der Film einmal, dass es weder Schauwerte noch Spektakel braucht, um intelligent zu unterhalten - eine gute Idee, ein fähiger Regisseur und ein paar erstklassige Schauspieler reichen aus. Nicht einmal ein Drehbuch ist zwingend notwendig. Regisseur Jan Georg Schütte hat für seine Dramödie "Wellness für Paare" auf die Improvisationsfähigkeit der Darsteller vertraut, lässt sie aus dem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen. Einzig die Figurenprofile wurden vorab ausführlich in den jeweiligen Paarkonstellationen besprochen, und, um Raum für Geheimnisse zu lassen, nochmals in Einzelgesprächen. Das Ergebnis ist witzig, wahrhaftig, berührend und entlarvend - ein grandioses Fernsehkunststück.

Die Idee ist so simpel wie effektiv: Fünf mittelalte Paare verbringen ein Wellness-Wochenende in einem Wasserschloss-Hotel. Zum Programm gehört eine Sitzung beim Paartherapeuten. Die einen haben das Angebot bewusst mitgebucht, bei anderen wird der Partner damit überrascht, dass er neben dem Saunabesuch auch noch seelische Abgründe ausschwitzen soll. Folglich wird über die Therapeuten gespottet ("Das sind doch bessere Kosmetiker") oder mit Trotz reagiert ("Du möchtest eine Therapie - dann mach mal!") - nah am echten Leben eben. Überhaupt gelingt es den Schauspielern, gerade in den Sitzungen hart an der Wirklichkeit zu navigieren. Wer spricht wann, wer fällt wem ins Wort, wer zieht sich in sich selbst zurück, das alles wirkt stets schlüssig, nie aufgesetzt.

Es geht um unerfüllte Kinderwünsche, nie gebeichtete Seitensprünge, zu hohe Erwartungen, zu niedrige Selbstwertgefühle, kurz: Vieles, was in längeren Partnerschaften gerne unter den Teppich gekehrt wird, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Der Film zeigt, was passiert, wenn man von außen aus seiner Routine gerissen wird und sich hinterfragen muss. Alte Wunden werden aufgerissen, neue hinzugefügt. Schütte und seinem famosen Ensemble gelingen authentische, faszinierende und verstörende Momente. So ist es beunruhigend zu sehen, wie wenig die Paare doch voneinander wissen, dass alles ausschweifende Palaver doch nur die Unfähigkeit kaschiert, miteinander zu reden. Wie ein Forscher geht Schütte Fragen nach: Was kettet die Menschen aneinander? Wie deformiert eine Beziehung die Partner, wie profitieren sie voneinander?

Gar nicht genug loben lässt sich die Leistung des Ensembles. Bjarne Mädel, Martin Brambach, Katharina Marie Schubert, Sebastian Blomberg, Anke Engelke, Anneke Kim Sarnau, Magdalena Boczarska, Devid Striesow, Gabriela Maria Schmeide und Michael Wittenborn spielen allesamt so nuanciert, so überzeugend, dass es unfair wäre, einen Einzelnen hervorzuheben. "Wellness für Paare" ist ein Ensemble-Film, dem das Kunststück gelingt, die Zuschauer zum Lachen zu bringen und mitleiden zu lassen. Schütte und seine Darsteller verraten in keiner Sekunde ihre Figuren, nehmen sie ernst in ihrer Lächerlichkeit, ihrem Stolz und in ihren Abgründen. Diese Leidenschaft für die Idee ist jederzeit zu spüren. Und Schütte stellt existenzielle Fragen. Wie diese: Würden Sie sich in einem neuen Leben noch mal für Ihren Partner entscheiden? Vielleicht konsultieren sie vor der Antwort doch besser einen Therapeuten.

"Wellness für Paare", ARD, 20.15 Uhr

(RP)
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