Maischberger über Kindesmissbrauch "Die Gefühle frieren ein, der Körper friert ein, die Seele friert ein"

Düsseldorf · Nach dem Spielfilm "Operation Zucker: Jagdgesellschaft" sprach Sandra Maischberger mit ihren Gästen über Zwangsprostitution und sexuellen Missbrauch von Kindern. Selten hat einen eine Talkshow so sprachlos zurückgelassen.

 Andreas Huckele, ehemaliger Odenwaldschüler, spricht bei Sandra Maischberger über seine Erfahrungen mit sexueller Gewalt.

Andreas Huckele, ehemaliger Odenwaldschüler, spricht bei Sandra Maischberger über seine Erfahrungen mit sexueller Gewalt.

Foto: Screenshot Youtube

Der Film, den die ARD am Mittwochabend zeigte, basiert auf Recherchen zu organisiertem Kinderhandel und sexuellem Missbrauch. Er dürfte bei manchen Zuschauern Fragen aufgeworfen haben, die Sandra Maischberger mit ihren Gästen besprechen wollte. "Passiert das so wirklich in unserer Nachbarschaft, und was können wir dagegen tun?", fragte die Moderatorin gleich zu Beginn der Sendung. Die Antwort bekam sie von Johannes-Wilhelm Rörig, dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Nach dem, was ihm Betroffene geschildert hätten, wisse er, "dass die Realität noch schlimmer ist als im Film dargestellt". Wie schlimm diese aussieht, das konnten Maischbergers Gäste in einer Stunde Talk sehr deutlich herausstellen.

Zu Gast waren neben Rörig die Psychologin Julia von Weiler von der Organisation "Innocence in Danger", der Ex-Kriminalhauptkomissar Manfred Paulus, die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsens und nicht zuletzt Andreas Huckele, ehemaliger Odenwaldschüler und Autor. Huckele war einer derjenigen, die den Skandal um die Schule damals öffentlich gemacht hatten. Der Film habe bei ihm "ganz großen Zorn auf die Täter" hinterlassen, "diese sadistischen Arschlöcher, man kann es nicht anders sagen".

Huckele war 13, als er das erste Mal sexualisierte Gewalt durch den damaligen Leiter der Odenwaldschuler erleiden musste. "Ich habe überhaupt nichts verstanden, nur gemerkt, hier passiert etwas, das will ich nicht und das ist auch nicht in Ordnung", schilderte er das damals Erlebte in der Sendung. "Ich bin eingefroren", beschreibt er seinen damaligen Zustand. "Die Gefühle frieren ein, der Körper friert ein, die Seele friert ein." Und die Bilder verfolgten einen, "es fühlt sich permanent an, als passiert es jetzt". Huckele konfrontierte seinen Peiniger Jahre später in einem Brief mit seiner Tat. Als Antwort habe er erhalten: Dich kennengelernt zu haben, war eine der wertvollsten Erfahrungen meines Lebens. Ein Satz, der selbst die erfahrene Runde für einen kurzen Moment zum Schweigen bringt.

Die Gäste sprachen aber nicht nur über sexuellen Missbrauch von Kindern im Einzelnen, sondern eben über diese organisierte Kriminalität, wie sie im Film geschildert wurde. Beauftragter Rörig sagt, es gebe tatsächlich Situationen, in denen Kindern diekt nach der Geburt in solchen Kreisen gekauft und dann als Ware für Missbrauch von solchen Gruppen genutzt würden. Auch von Weiler kann von solchen Fällen berichten, sagt, es gebe auch Kinder, die in solche Kreise hineingeboren würden. Oft schreckten die Täter nicht davor zurück, ihre eigenen Kinder zu missbrauchen, im Gegenteil: "Die richten diese Kinder wirklich von Anfang an ab", etwa durch Folter.

Es sind diese Momente in der sehr sachlichen Talkshow, die einen sprachlos zurücklassen. Auch wenn Ex-Kommissar Paulus von einem Fall drei kleiner Jungen berichtet, die von der Mutter nach "geschickter raffinierter Überzeugungsarbeit" in solche Kreise freigegeben worden seien. "Was die mit den Jungs angestellt haben, das verbietet sich hier einfach zu sagen", fügt er noch hinzu.

Wie entdeckt man, ob ein Kind missbraucht wird?
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Paulus, aber auch von Weiler berichten, dass es sich in diesen organisierten Gruppen durchaus immer wieder um Täter aus den sogenannten besseren Kreisen handele. Der Ex-Kommissar erklärt sich das so: Diese Menschen seien sich schon sehr früh in der Pupertät ihrer Neigungen bewusst, daher suchten sie recht früh Schutz gegen Verdacht und Verachtung, und das wirksamste Mittel sei gesellschaftliche Achtung. "Deshalb machen sie beruflich häufig steile Karrieren."

Diese Täter dächten, erklärt der Kommissar, sie seien "eine völlig zu Unrecht verfolgte Minderheit", sie würden sich daher auch bewusst abschotten in kleinen Gruppen. Woraufhin von Weiler ergänzt, dass das Internet sie noch bestärke, weil sie sich hier austauschen und unterstützen könnten. Die Täter seien sich gar nicht des Unrechts, das sie begingen, bewusst.

Klar wird aber auch schnell, dass man solche organisierten Gruppenstrukturen nur schwer zerschlagen kann. Reporterin Friedrichsen kennt nicht einen Fall, der vor Gericht nachgewiesen werden konnte. Auch Rörig sagt, meist blieben diese Verfahren in den Ermittlungsverfahren stecken und fügt hinzu: "Wir kommen so nicht an die Strukturen ran."

Sandra Maischberger und ihre Gäste versuchen auch Ansätze zu geben, wie man helfen kann, wenn man den Verdacht hat, in seiner Umgebung würde ein Kind missbraucht. Dass man Signale durchaus Ernst nehmen, aber auch ruhig bleiben solle und sich letztlich an die erfahrenen Spezialisten der Fachberatungsstellen wenden solle. Denn, und das fügt Paulus noch in Bezug auf die Täter hinzu: "Man sieht es ihnen nicht an, man merkt es ihnen nicht an."

(das)
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