Talk bei Maischberger Böhmermann in den Knast — oder Erdogan in die Psychiatrie

Düsseldorf · Auch wenn es ruhig geworden ist um Satiriker Jan Böhmermann, es besteht noch immer Redebedarf. Sandra Maischberger ließ ihre Gäste kurz vor Merkels Reise in die Türkei über Sinn und Unsinn des Paragrafen 103, Meinungsfreiheit in der Türkei und die Souveränität Erdogans diskutieren.

Sandra Maischberger: die Gäste beim Böhmermann-Talk
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Maischberger: Das waren die Gäste beim Böhmermann-Talk

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Darum ging's

Das Thema der Sendung lautete: "Diktiert Erdogan Merkels Kurs?" Schon vor zehn Tagen hatte Anne Will zu exakt demselben Thema eingeladen. Als Anlass waren Maischberger die Reisepläne Merkels genug: Am Wochenende fliegt die Bundeskanzlerin in die Türkei. Wird sie sich trauen, gegenüber Staatschef Recep Erdogan die Presse- und Kunstfreiheit zu verteidigen?

Darum ging's wirklich

Die ewige Diskussion darüber, ob Merkel richtig gehandelt hat, als sie die Ermächtigung erteilte, dass gegen Böhmermann nach Paragraf 103 ermittelt werden kann. Dabei ist sich die Runde fast einig, dass Paragraf 103 abgeschafft gehört. Und natürlich geht es um Meinungsfreiheit. Damit hat die Türkei ja gar kein Problem, oder doch? Ist Erdogan der Böse? Ist Böhmermann der Böse? Irgendwo hat man alle Argumente schon einmal gehört.

Die Runde

Ulrich Kienzle, Nahostexperte und früherer ARD-Korrespondent
Jürgen Trittin, B'90/Grüne, ehemaliger Bundesminister
Stephan Mayer, CSU, Innenpolitischer Sprecher Unionsfraktion
Idil Baydar, Kabarettistin
Ralf Höcker, Medienanwalt
Ozan Ceyhun, deutsch-türkischer AKP-Politiker

Frontverlauf

Es geht mal wieder um das Schmähgedicht von Satiriker Jan Böhmermann. Das Problem: Es wird viel diskutiert, doch die meisten Menschen haben die Folge des "Neo Magazin Royale" gar nicht gesehen, in der Böhmermann Erdogan mit allerlei Schimpfwörtern belegt hat. Kein Thema für Sandra Maischberger: Sie zeigt Ausschnitte des aus der ZDF-Mediathek gelöschten Beitrags — zwar nicht mit der original Tonspur, aber nachgesprochen und mit Untertiteln.

Die Reaktion darauf ist gespalten: "Der Einzige, der gelacht hat, war Herr Kienzle", verrät Maischberger nach dem Einspieler. "Das ist ja keine politische Kritik, sondern unterhalb einer gewissen Schwelle, deshalb kann man es nicht ernstnehmen und sich darüber aufregen", verteidigt sich der Journalist.

Einen Fan aber hat Böhermann damit verloren. Ozan Ceyhun macht es "traurig", zu sehen, wie ein Journalist, dessen Beiträge er gerne gesehen hat, so reagiert. Er selbst fühle sich beleidigt. Und mit ihm 78 Millionen Türken — naja, abzüglich derer, die Erdogan nicht gewählt haben, gibt er zu. Zwischen den beiden Talkshowgästen soll es im Verlauf der Sendung noch öfter zu lautstarken Diskussionen kommen — allein der Inhalt erschließt sich dem Zuschauer nicht immer.

Die Streithähne des Abends

Neben Kienzle und Ceyhun verstehen es auch Jürgen Trittin und Medienanwalt Ralf Höcker prächtig, lautstark ihre Meinung auszutauschen. Trittin verteidigt den Standpunkt, Merkel hätte ihre Ermächtigung nicht erteilen dürfen. Erdogan habe somit gemäß Paragraf 103 "mehr Rechte als Herr Kienzle", argumentiert er. Denn: Wer nach Paragraf 103 verurteilt wird, dem droht eine dreimal längere Strafe als jemandem, der etwa eine Bäckerin beleidigt hat und eben kein Staatsoberhaupt. Das will Höcker erklären: Paragraf 103 schütze nicht die persönliche Ehre eines Staatspräsidenten, sondern die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Unterm Strich bedeute das: ein Jahr Knast für die Beleidigung, zwei Jahre Knast dafür, dass die Beziehungen zwischen zwei Staaten gestört wurden.

Womit die Gäste beim eigentlichen Thema ankommen: Hat sich Merkel Erdogan untergeordnet, weil sie ihn als Verbündeten in der Flüchtlingskrise braucht? Nein, verteidigen sie Höcker und Mayer (CSU). Sie habe richtig gehandelt, jetzt müssten die Gerichte entscheiden. Ja, sagt Trittin, 103 gehöre abgeschafft, Merkel habe entgegen der Meinung ihres Außenministers und des Justizministers gehandelt. Daran sehe man doch, wie falsch die Entscheidung war. Höcker wirft Trittin "Moralisiererei" vor. "Das hat mit Recht nichts zu tun. Auch der übelste Diktator hat ein Recht auf Würde. Das steht im Gesetz."

Die Absurdität des Abends

Faszinierend war mit anzusehen, wie der ehemalige SPD- und heutige AKP-Politiker Ceyhan die Meinungsfreiheit in der Türkei verteidigte — auf seine ganz eigene Art und Weise. "Es gibt in der Türkei keine Probleme mit der Pressefreiheit. Die Zeitungen dürfen veröffentlichen, was sie wollen", sagt er, und: "Es gibt zurzeit keine Journalisten im türkischen Gefängnis." Ach ja, wendet Maischberger ein, das seien ja dann alles Agenten und Terroristen.

Auf Trittins Einwand, dass die Türkei laut Reporter ohne Grenzen beim Thema Pressefreiheit auf Platz 150 steht (Deutschland liegt auf 16), geht Ceyhan bedauerlicherweise nicht ein. Die Reaktion Erdogans als Zeichen mangelnder Souveränität anzusehen, weigert Ceyhan sich. Anders sieht das Kienzle: "Wer gegen 2000 Leute klagt, wegen Beleidigung, Schülerinnen darunter, der hat sie nicht alle. Der ist ein Fall für die Psychiatrie. Das ist doch indiskutabel, das wir überhaupt darauf ernsthaft eingehen."

Und was sagt die Kabarettistin Idil Baydar? Die mag Böhmermanns Schmähkritik auch nicht. "Ach guck mal, so denkt ihr Deutschen über uns Türken, und das schon seit 50 Jahren", sagt sie. Aber auf die Frage, ob das Satire und erlaubt sei, meint sie: "Absolut. Wir brauchen den Freiraum der Satire und Kabarett, um uns zu einer politisch korrekten Gesellschaft zu entwickeln. Ich bin absolut dagegen, dass man das einschränkt."

Die Erkenntnis des Abends

Kommt Böhmermann denn nun in den Knast oder nicht? Medienanwalt Höcker glaubt es nicht. Zwar glaubt er an eine Verurteilung, aber nicht an eine Haftstrafe. "Es wird wahrscheinlich eine Geldstrafe geben", sagt er. "Vielleicht gibt es auch, wenn er richtig Glück hat, eine Einstellung, da muss er als Auflage vielleicht eine Spende an irgendeinen Verein spenden."

Fazit

Alles schon mal gehört. Zwar amüsierten vor allem die Streitgespräche zwischen Trittin und Höcker sowie zwischen Kienzle und Ceyhan — neue Erkenntnisse brachte der Talk leider nicht.

(jnar)
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