"Polizeiruf 110" Ein Film, der an die Nieren geht

München · In einem Pflegeheim ermittelt Meuffels beim Münchner "Polizeiruf". Für den Zuschauer sind viele Szenen schwer erträglich. Und auch deshalb bitter nötig.

 Hanns von Meuffels ermittelt am Sonntagabend in einem Pflegeheim.

Hanns von Meuffels ermittelt am Sonntagabend in einem Pflegeheim.

Foto: BR/die film gmbh/Hendrik Heide

Erste Szene: Ermittler steht an Kranken- oder vielleicht auch Sterbebett, schwer atmend. Öde. Bis im Hintergrund SEK-Männer durch den Flur rennen, und zwar rückwärts. Der Blick fällt auf das Blut, das Hanns von Meuffels' Hemd durchtränkt. Nach ewig langen Sekunden stolpert er aus dem Raum, in Zeitlupe und ebenfalls rückwärts, weil die ganze Szene rückwärts läuft. Blut an den Wänden, am Boden ein erschossener Pfleger. Ein Massaker. Und Schnitt.

Ein Gimmick, wenn auch ein sehr gutes - das es nicht gebraucht hätte für dieses Meisterwerk. Oder eben doch, um die Zuschauer bei der Stange zu halten, denen am Sonntag wenig ferner liegt, als sich freiwillig mit den zahllosen Dramen in einem fast ganz normalen Pflegeheim zu beschäftigen.

Es ist ein komplettes Universum, das sich einem da auftut, in fahlem Neonlicht, geprägt vom ständigen Schrillen der Notfallglocke. Unwillkürlich bildet man sich ein, Reinigungsmittel zu riechen, zu viel und zu scharf, und dennoch zu wenig, um den Geruch nach Urin und Schweiß und Suppe zu überdecken.

 Der Ermittler kümmert sich um den schwer verletzten Pfleger Kroll.

Der Ermittler kümmert sich um den schwer verletzten Pfleger Kroll.

Foto: dpa, bsc

Von Meuffels steigert sich hinein in seinen zwölften Fall, der vielleicht überhaupt kein Fall ist, sondern nur ein unglücklicher Sturz. Die einzige Zeugin ist dement. "Der Frontallappen dieser Frau, der ist... Brokkoli", stößt Pfleger Tscharlie Meier hervor, ohne es böse zu meinen. Der flüchtet sich in Zynismus und Alkohol. Aber weder er noch irgendein anderer Pfleger unterbricht seine Arbeit, egal wie sehr von Meuffels sie alle löchert, des Mordes bezichtigt, sie hetzen hin und her zwischen Computern und Körperausscheidungen, Pillen, Papierkram und, ach ja, Patienten. Oft schieben sie Wagen mit Essen, Putzmitteln, Müll, und immer schieben sie Frust.

Die Macher dieses notdürftig als Krimi getarnten sensationellen Dramas knallen einem all das vor den Latz, das Siechen und Sterben, das Schreien und Wimmern, das Wiedererstarken aggressiver und sexueller Triebe bei Demenzpatienten, die Fast-Verunmöglichung von Humanität durch ökonomische Zwänge. All das ist schwer erträglich, es zu zeigen sehr nötig. Damit sich daran eines Tages doch etwas ändert.

"Polizeiruf 110: Nachtdienst", Das Erste, So., 20.25 Uhr

(tojo)
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