TV-Talk zum Türkei-Deal Floskel-Feuerwerk bei Maybrit Illner

Düsseldorf · In Brüssel verhandeln die EU und die Türkei heute über den Flüchtlingsdeal. Aber ist das überhaupt der richtige Weg? Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen: Es hagelte Kritik an Ankara, der türkische Botschafter glänzte dagegen mit Worthülsen. Der Talk im Schnellcheck.

Flüchtlingslager Idomeni versinkt im Schlamm
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Foto: dpa, bip ase

Darum ging's
Mit dem Titel "Feilschen um die Flüchtlinge — was bringt Merkels Türkei-Plan?" war die Sendung überschrieben. Merkel suche nach europäischen Lösungen und brauche mehr denn je die Türkei, sagte Illner zu Beginn und fragte, ob die EU ihre Grenzen ohne die Türkei überhaupt schützen könne und ob sie somit erpressbar sei.

Darum ging's wirklich
Die Sendung drehte sich zu Beginn sehr lange um das Elend im Flüchtlingscamp von Idomeni - was verdeutlichen sollte, wie dringlich die Lage ist. ​Irgendwann aber ging es tatsächlich um den Türkei-Deal selbst. Die Frage, was er bringen könnte, wurde aber nur am Rande beantwortet. Vielmehr stand die Frage im Raum, ob man denn mit einer Türkei verhandeln solle, die sich immer mehr zu einem autokratischen Staat entwickelt.

Die Runde

  • Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
  • Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht
  • der österreichische EU-Parlamentarier Heinz K. Becker (ÖVP)
  • der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu
  • der Journalist Stephan Detjen vom Deutschlandradio

Frontverlauf
Wagenknecht und Detjen nahmen die Rolle der Türkei-Skeptiker ein, während von der Leyen und Becker auch Chancen in dem nun anstehenden Prozess sahen. So ist die Linken-Politikerin der Ansicht, dass der Deal mit Ankara nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist, und sagte in Bezug auf die Kanzlerin: "Frau Merkel möchte die schrecklichen Bilder, die wir jetzt aus Idomeni sehen, verlagern hinter die türkische Grenze." Für sie steht fest: "Das ist ein absolut schäbiger Deal."

Detjen wiederum sprach sogar von Menschenhandel, weil für einen illegalen Flüchtling ein legaler kommen dürfe. Er sagte: "Wir stehen vor der Frage, ob wir in der Türkei einen vertrauenswürdigen Partner finden." Von der Leyen verteidigte logischerweise den Kurs der Kanzlerin, nannte die Türkei ein Schlüsselland in der Flüchtlingskrise und sagte: "Es kommt darauf an, das Geschäftsmodell der Schlepper und Schleuser zu zerstören." Sie und Becker verteidigten zudem das Öffnen neuer Kapitel im EU-Beitrittsverfahren mit der EU. Schließlich sei das ein langer Prozess, und Ankara müsse auch die Bedingungen erfüllen, sonst gehe es nicht weiter — woraufhin der türkische Botschafter ebenfalls sagte: "Wir müssen unsere Hausaufgaben machen."

Überraschendster Gast
Das war der Österreicher Becker. Denn aus den Talkshows der vergangenen Wochen ist man aus dem Alpenland insbesondere durch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner raue und kritische Töne gewöhnt. Becker aber gab zum größten Teil den sachlichen Erklärer und ganz den Europäer. Als ihn Illner fragte, ob Österreich ein Opfer der Flüchtlingspolitik Merkels sei, verneinte er und entgegnete: "Wir haben ein Versagen der EU", denn schließlich seien Beschlüsse — etwa zur Verteilung der Flüchtlinge — einfach nicht umgesetzt worden. Auch versuchte er genauso sachlich wie von der Leyen zu erklären, was denn die nun angestoßenen Verhandlungen mit der Türkei etwa in Bezug auf Visa-Freiheit bedeuteten. Offen Kritik übte er allerdings an Griechenland, das trotz EU-Geldes zu wenig getan habe, um vor Ort der Flüchtlingskrise Herr zu werden.

Enttäuschendster Gast
Für einen Botschafter ist es ja normal, sich ganz diplomatisch zu äußern und bloß niemanden zu verschrecken. Karslioglu aber machte das nicht mit sachlichen Argumenten, sondern eher mit Worthülsen. Als es etwa um den Abzug des "Spiegel"-Korrespondenten Hasnain Kazim aus der Türkei ging, dessen Presseakkreditierung nicht verlängert wurde, warf er nur ein, er habe erst am Nachmittag davon erfahren, und übrigens habe die Türkei ja 600 ausländische Journalisten im Land. Journalist Detjen griff ihn daraufhin scharf an, sagte: "Das ist ein Muster, das wir kennen — nicht nur aus autoritären Staaten, sondern auch aus Diktaturen." Dem wusste der Botschafter nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. In Bezug auf die Flüchtlinge, die in der Türkei sind, betonte Karslioglu: "Wir tun unser Äußerstes, den Menschen zu helfen", oder auch "Wir sind im selben Boot". So weit, so floskelhaft.

Der kurioseste Moment
Immer wieder kamen in der Sendung auch die Angriffe auf die Kurden durch die Türkei zur Sprache. Offiziell werden diese aus Ankara mit dem Kampf gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK begründet, was auch der Botschafter übernahm — allerdings mit einem Satz, der doch ein Raunen durch das Studio gingen ließ: "Wir führen keinen Krieg gegen die Kurden", sagte Karslioglu. "Die Kurden sind unsere Brüder und Schwestern. Wir führen Krieg gegen die PKK."

Satz des Abends
Der kam von Ursula von der Leyen. Denn bei aller Kritik an der Türkei und den Bedenken, in welche Richtung sich das Land und insbesondere seine Regierung entwickelt, steht die Frage im Raum, wie man damit denn umgehen soll. Und das packte die Ministerin in eine Frage: "Wird es besser, wenn wir uns abwenden?" Beantworten kann sich die Frage jeder selbst, aber genau das dürfte der Kern der Diskussion sein.

Erkenntnis
Geht es um den EU-Beitritt, war das Verhältnis zur Türkei schon immer ein schwieriges. Angesichts der aktuellen Entwicklungen dort und der Flüchtlingskrise sind die Sorgen groß, dass sich die EU erpressbar macht und ob man sich überhaupt auf Ankara verlassen könne. Der Talk machte klar, wie tief mitunter die Gräben sind, aber wie groß auch das Bemühen der Politik, sachlich zu diskutieren. Und den Beweis der Verlässlichkeit kann letztlich nur die Türkei selbst erbringen — aber eben nicht in einer Talkshow, sondern in der Realpolitik, wie auch der Österreicher Becker immer wieder betonte. Denn dass eine Lösung der Krise ohne die Türkei nicht möglich sein wird, das steht außer Frage.

(das)
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