TV-Talk Maybrit Illner belebt den Mann mit dem Finger

Düsseldorf · Die Grexit-Ausgabe vom Maybrit Illner geriet über weite Strecken zu einem Ärgernis. Als hätte es #Varoufake nie gegeben, diskutieren die TV-Gäste Fragen von vorgestern und erteilen mit dem Zeigefinger im Anschlag Hausaufgaben. Nur zwei Einsichten werden greifbar.

 Athanasios Marvakis wehrte sich im roten T-Shirt gegen Belehrungen aus Deutschland.

Athanasios Marvakis wehrte sich im roten T-Shirt gegen Belehrungen aus Deutschland.

Foto: ZDF

Maybrit Illner lud am Donnerstag zu gefühlt tausendsten Ausgabe über die griechische Schuldenkrise. Gewohnt griffig zugespitzt das Thema: "Athen ohne Zukunft — hilft am Ende nur der Grexit?", heißt es zum Einstieg. Anfangs zweifelt man daran, ob denn überhaupt diese Sendung eine Zukunft hat, so sehr schwächelt deutlich hörbar die Moderatorin mit der Stimme.

Eingeladen sind gut bekannte Gesichter aus dem Dauer-Talk-Stream des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Volker Kauder (CDU), der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph M. Schmidt, Kerstin Andreae (Grüne) und der gerne brachial witzelnde TV-Finanzexperte Frank Lehmann. Weniger gut bekannt der einzige Grieche in der Runde: Der Sozialwissenschaftler Athanasios Marvakis von der Universität Thessaloniki. Im roten T-Shirt und mit wachsender Verzweiflung mühte er sich, die Haltung der Syriza-Regierung zu erklären.

Schon wieder diese Plumpheiten

#Varoufake war da noch frisch. Erst am Abend zuvor hatte Jan Böhmermann dem deutschen Talk-Fernsehen aufgezeigt, wie sehr sich Plasberg, Jauch und wohl auch Illner in ihren Debatten auf auf eine Erregungskultur verengt haben, die an Aufklärung nicht wirklich interessiert ist.

Dass diese Verhaltensmuster sich tief in den Köpfen der Talkshow-Menschen eingeschliffen haben, zählte wohl zu den zentralen Erkenntnissen des Abends. Als ob nie jemand dem Fernsehen dem Spiegel vorgehalten hätte, reihten sich gut durchgehangene Pauschalisierungen und Plumpheiten aneinander.

Kauder grantelt, der griechische Regierungschef Tsipras solle doch bitte mehr arbeiten und weniger Interviews geben, Varoufakis wirft er schlechte Manieren vor. Illner fragte ab, welche Hausaufgaben Griechenland abzuarbeiten habe. Börsen-Experte Lehmann redet vom "Herrn mit dem Finger", Varoufakis gebe er weniger Monate im Amt als Lafontaine.

Argumente gehen unter

Einzig Andrae und Schmidt wagten den ein oder anderen differenzierten Ansatz, drangen damit aber kaum durch. Die Grüne versuchte sich in Vorschlägen, die der griechischen Wirtschaft neues Leben einhauchen sollten. Dass sie dabei mit dem Hinweis auf Wind- und Sonnenenergie in die Grünenfalle tappte, war dabei wohl unvermeidlich. Ihre Anmerkung, dass Griechenland seine Energie-Wirtschaft mit teuren Öl-Importen betreibt, ging dabei unter.

Marvakis hatte in dieser Konstellation einen schweren Stand. Dass er sich nicht verständlich machen konnte lag an seiner hektischen Redeweise, aber auch der Ignoranz seiner Gesprächspartner. Auf seine Vorwürfe, die Euro-Politik der vergangenen Jahre habe die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht, ging niemand ein, ebenso wenig auf den Vorwurf, dass in der deutschen Debatte die Fehler der Troika unter den Tisch fallen.

"Operation gelungen, Patient tot"

Einzig an zwei Punkten sank das Erregungsniveau spürbar. Zum Ende hin erzählte Marvakis von seinen Studenten in Thessaloniki. Seine Schilderung machte spürbar, wie verzweifelt das Land inzwischen ist. Eine ganze Generation talentierter junger Menschen findet trotz eines guten Studienabschlusses keinen Boden, um eine Zukunft aufzubauen. "Operation gelungen, Patient tot", so seine Reaktion auf das Argument, die Sparpolitik habe dank der Vorgängerregierung doch erste Erfolge vorzuweisen.

Mindestens ebenso bedenkenswert sein Hinweis zu den mantrahaft vorgetragenen Forderungen nach Strukturreformen. So zähle eine Modernisierung des Staatswesens doch zu den zentralen Wahlversprechen Tsipras'. Aber das brauche Zeit, Tsipras habe von den Euro-Partnern niemals eine faire Chance bekommen. Dass sich über Jahrzehnte gewachsene Missstände im griechischen Staatswesen nicht in wenigen Tagen wegreformieren lassen, blieb dann auch unwidersprochen. Auch weil deutlich wurde, dass die konservative Vorgängerregierung unter Antonis Samaras nicht einmal ansatzweise die Axt an echte Umbauten im Hause Griechenland gelegt hat.

Immerhin blieb am Ende ein Ergebnis, dem sich alle Anwesenden anschließen konnten. In der Debatte braucht es Abrüstung und die Zeit für Reformen ist überfällig. Das aber ist nun Aufgabe der Regierungen. Es gehe jetzt "nicht nur um Euro und Cent, sondern um Politik", sagte Börsen-Fachmann Lehmann. Da habe Athen völlig Recht.

(pst)
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