TV-Talk mit Sandra Maischberger "Wir müssen ein demokratisches Defizit aufarbeiten"

Düsseldorf · Wie uneins ist Deutschland? Sandra Maischberger lässt über Ost und West nach der Bundestagswahl und dem Tag der Deutschen Einheit reden. Zu Gast ist auch das "politisch ungewöhnlichste Ehepaar" der Republik: ein AfD-Gatte mit SPD-Frau.

Porträt: Das ist Sandra Maischberger
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Das ist Sandra Maischberger

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Foto: dpa, hka bsc sab

Darum ging's

Sandra Maischberger wollte besprechen, wie stark geteilt Ost- und Westdeutschland 27 Jahre nach der Einheit noch sind. Nach der Wahl seien mit fast 40 Prozent linke und rechte Ränder des Parteienspektrums in Ostdeutschland annähernd so stark wie die sogenannte Mitte. Allerdings schockierten die Rechtspopulisten der AfD etablierte Parteien auch im Westen mit deutlich zweistelligen Ergebnissen. Die Talkrunde sollte über Gründe und Gefahren dieser Entwicklung sprechen. Maischberger wollte auch wissen, ob sich eine Jamaika-Koalition dazu eignet, die politische Uneinigkeit im Land zu überwinden?

Darum ging's wirklich

Die bunt gemischte Talkrunde — ein AfD-SPD-Ehepaar aus Schleswig-Holstein, zwei Journalisten, ein grüner Tübinger und ein CDU-Mann aus dem Osten — suchten in der Tat nach Gründen für Wut und Frustration in der Bevölkerung. Sie diskutierten aber vor allem über Demokratie und darüber, wie diese in Zukunft funktionieren kann.

Die Gäste

  • Kerstin Hansen, Tierärztin, SPD-Ortsvorsitzende
  • Frank Hansen, Marineoffizier, AfD-Kreisvorsitzender
  • Ralf-Dieter Brunowksy, ehemaliger "Capital"-Chefredakteur
  • Boris Palmer, Tübinger Oberbürgermeister, Bündnis 90/Die Grünen
  • Martin Patzelt, CDU Bundestagsabgeordneter, Frankfurt/Oder
  • Bettina Gaus, "taz"-Journalistin

Frontverauf

"Wie geht das, wenn ein Partner aktiv in der AfD ist, der andere in der SPD?" war die Frage, die Sandra Maischberger brennend interessierte. Doch ehe das "politisch ungewöhnlichste Paar der Republik" aus dem Ehealltag plaudern kann, muss Grundsätzliches debattiert werden: Hat das Wahlergebnis die Kluft zwischen Ost und West vertieft? Was haben die traditionellen Parteien falsch gemacht, wenn 40 Prozent der Bürger ihr Kreuz an den linken und rechten Rändern des Wahlzettels machen? Die Gäste reden lange über den Osten, und finden heraus: Auch im Westen gibt es Enttäuschte.

"Taz"-Journalistin Bettina Gaus darf den Anfang machen, sie nennt das Ergebnis der Wahl "beschämend und erschreckend", hält es aber für ein eher gesamtdeutsches Problem. Vieles sei in den letzten 30 Jahren zu schnell und überstürzt abgelaufen, aber Deutschland hätte ja schließlich mit so einem Prozess auch keine Erfahrungen gehabt. Der CDU-Abgeordnete Patzelt, der in Frankfurt/Oder erneut kandidierte — vor allem, weil er Alexander Gauland (AfD) nicht das Feld überlassen wollte — glaubt, die AfD habe sich vor allem zu einer "Stimme der Enttäuschten" gemacht.

Der Grüne Oberbürgermeister Palmer erinnert daran, dass die AfD auch in einigen Gegenden Baden Württembergs fast ein Fünftel der Stimmen geholt habe. Er sieht vor allem Enttäuschung mit anderen Parteien, an mangelndem Wohlstand liege der Trend nach Rechts dort kaum. Der für seine kritische Einstellung zu Merkels Flüchtlingspolitik bekannte Grüne ("Wir schaffen das nicht") glaubt, dass er selbst in Tübingen erfolgreich war, gerade weil er die Probleme der Integration angesprochen habe und aktiv nach Lösungen suche.

SPD-Frau Kerstin Hansen glaubt, ihre Partei habe so stark verloren, weil sie "die Leute nicht aus ihren Existenzängsten herausgeholt" habe. Ihr Mann hingegen ist der Ansicht, Wähler wehrten sich vor allem "gegen Bevormundung durch die Altparteien und die Medien".

"Der Osten hat eher gewonnen"

Journalist Brunowsky warnt davor, das Image einer "Bewegung der Enttäuschten" zu fördern. Das sende auch negative Signale für Deutschland als Firmenstandort. Sachsen beispielsweise habe niedrigere Arbeitslosen zahlen als NRW, "denen geht's nicht wirklich so schlecht". "Der Osten hat eher gewonnen", fasst er zusammen, nachdem Sandra Maischberger Zahlen zu Wiederaufbau und Wiedervereinigung einspielt.

"2000 Milliarden Euro wurden in den Osten transferiert", sagt Brunowsky. Er erwarte keine Dankbarkeit, aber jetzt wäre es doch schön, wenn die Leute mal die Ärmel hochkrempeln würden, anstatt sich in die Ecke der Enttäuschten zurückzuziehen. "Menschen müssen sich wieder engagieren, auch in Parteien. Aber stattdessen protestieren sie."

CDU-Mann Patzelt pflichtet ihm bei, auf Touren durch seinen Wahlkreis in Frankfurt/Oder habe er AfD-Wählern mit einigem Wohlstand erlebt. "Menschen sind ängstlich oder wütend", so Patzelt, der in den nächsten vier Jahren herausfinden will, warum die Menschen in seiner Heimat sich so fühlen. "Kaum einer in der ehemaligen DDR will so leben wie früher. Fast alle Menschen dort erleben das Leben als schwerer, aber schöner als früher", sagt er. Der Transformations-Prozess sei aber offenbar schwierig.

Wie stark ist der Faktor Flüchtling?

Als Sandra Maischberger herausfinden will, warum im Osten scheinbar mehr Fremdenfeindlichkeit herrsche, entgegnet Patzelt, auch im Osten versuche ein überwiegender Teil der Menschen, mit Fremden auszukommen. Ihn ärgert das Pauschalisieren: "Man vergisst, dass der überwiegende Teil der Menschen völlig anders tickt. Oft ist es eine kleine Gruppe, die auch für mich unerträglich ist, die dann dem ganzen Osten ein Etikett beschert." Bettina Gaus stimmt zu: "Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind kein ostdeutsches Phänomen." Für sie sind aggressive Verhaltensweisen häufig Ventile der Frustration.

Hansen und Hansen

Dann fragt Maischberger endlich, was ihr schon lange unter den Nägeln brennt: "Wie läuft das Zuhause, wenn ein Partner AfD, der andere SPD wählt?" Die Hansens allerdings empfinden das offensichtlich weniger am Küchentisch problematisch als vor der Haustür. "Wir diskutieren in der Tat viel", sagt Tierärztin Kerstin Hansen. Es gebe nichts, über das sie beide politisch nicht reden würden. "Und manchmal müssen wir unterschiedliche Meinungen dann einfach stehen lassen."

Selbst das Wahlplakat ihres Mannes "Freiheit statt Sozialdemokratie", das im Wohnzimmer stehe, nehme sie nicht persönlich. Angriffe, die sie von außen erlebt hätten, machten sie deutlich wütender. Ihre Autoscheiben wurden zertrümmert, das Haus mit Farbe beschmiert. Kerstin vermutet, dass die Angriffe aus dem linken Spektrum kamen. Beide Ehepartner würden überdies regelmäßig auch von Parteifreunden angefeindet. Sie sei sogar gefragt worden, ob sie sich nicht scheiden lassen wolle. Derlei macht sie sprachlos.

Ihr Mann darf dann noch erklären, was ihm an der AfD so gut gefällt. Dazu gehörten die Möglichkeiten, sich am Aufbau einer neuen Partei zu beteiligen, aber auch die drei Säulen des Programms: "Der Kampf gegen Islam, die Europakritik und die Parteienstaatskritik." Das Erfolgsmodell Deutschland sei über die Jahre hinweg "verfettet" und müsse "vom Mehltau befreit werden", findet der norddeutsche Marineoffizier.

Bettina Gaus sagt, dass sie inhaltlich mit nichts, was Hansen sagt, übereinstimmt, persönliche Angriffe verurteile sie jedoch grundsätzlich und in jedem Fall. "Da ist bei mir Schluss mit dem Verständnis." Allerdings höre ihre Verständnis ebenfalls auf, "wenn Funktionäre absichtsvoll Stöckchen hinhalten und provokant zur politischen Verrohung beitragen". Palmer plädiert im Umgang mit der AfD ebenfalls für einen "Dialog mit Respekt". Er wolle Hansen als Mensch akzeptieren, fordere aber inhaltlich harte Auseinandersetzungen. Dämonisieren und Diffamieren brächten in seinen Augen ebenso wenig wie Todschweigen und Ignorieren.

Brunowsky fragt ebenfalls, ob man sich angesichts persönlicher Angriffe auf Politiker um die Demokratiefeindlicheit im Lande sorgen müsse."Wir haben offenbar ein demokratisches Defizit, das wir aufarbeiten müssen." Der Ostdeutsche Martin Patzelt und Boris Palmer sind ähnlicher Ansicht. Es werbe nicht gerade für Demokratie im Land, wenn man für Überzeugungen persönlich angegriffen werde. Für den Umgang mit der AfD schlägt Patzelt Besonnenheit und genaues Hinschauen vor: Man müsse hinsehen, "was wir noch für faschistoide Kerne haben" und dürfe die nicht marginalisieren. Zugleich müsse man Demokratie vorleben. Seine Hoffnung: "Wir werden die AfD im Bundestag entzaubern."

"Jamaika hat Charme"

Zuletzt will Maischberger wissen, wie ihre Gäste der möglichen Jamaika-Koaliton entgegensehen und erhält durchweg positive Antworten. Für Palmer ist entscheidend, dass der "Klimaschutz nicht weiter unter die Räder kommt und Erneuerbare nicht wie bisher zusammengestrichen werden". Wenn sich die Union da bewege, könne er sich zwar keine Obergrenze für Flüchtlinge vorstellen, wie sie die CSU fordert, doch Kompromisse in der Abschiebepolitik schon. Wichtig blieben ein Einwanderungsgesetz und faire Chancen für junge integrierte Einwanderer.

Karin Hansen, die in Schleswig Holstein eine Jamaika-Koalition bereits erlebt, ist optimistisch. Sie sehe, dass die Parteien dort das von ihr gewünschte bedingungslose Grundeinkommen bereits anpackten. "Es gibt innerhalb vieler Parteien gute Ideen, da ist mir dann egal woher sie kommen", sagt Hansen. Auch Brunowsky, der FDP-Mitglied ist, kann sich die bunte Kombination gut vorstellen: "Jamaika hat Charme, weil es durch die Union Stabilität bekommt, durch die FDP Digitalisierung und durch Grüne Nachhaltigkeit bringen kann." Bettina Gaus sieht ebenfalls kein Problem, Grüne und FDP passten ohnehin nicht schlecht zusammen.

(juju)
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