Kieler "Tatort" im Schnell-Check Eine junge Frau entgleitet uns gen IS

"Borowski und das verlorene Mädchen" erzählt gelungen vom Sog des Islamismus.

"Borowski und das verlorene Mädchen"
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Foto: NDR/Christine Schroeder

90 Minuten in 90 Zeichen

Julia, 17, sehnt sich nach Liebe und will "auf der guten Seite stehen". Und wählt den IS.

Wie nachvollziehbar ist Julias Radikalisierung?

Erschreckend gut. "Ich helfe dir, ich helfe dir", versichert der Imam Abu Abdullah (Ferhat Keskin) einem jungen Glaubensbruder, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Julia Heidhäuser (Mala Emde) hingegen hilft niemand; von ihrer Mutter und ihrem Bruder hat sie sich entfremdet, in der Schule gilt sie als Außenseiterin, Borowski und Brandt glauben ihr nicht. Leichtes Spiel für Amina Jaschar (Sithembile Menck), die immer auf der Suche ist nach Ehefrauen für die Dschihadisten vom IS, und in Julia das perfekte Opfer findet. "Ich will nicht mehr die sein, die ich bin", sagt die in einer Sprachnachricht an ihre Mutter zum Abschied. Hauptdarstellerin Mala Emde sagt: "Es ist mir wichtig, dass wir Julia nicht verurteilen. Ich hätte sie gern geschüttelt und in den Arm genommen, nicht um ihr Vorwürfe zu machen, sondern um ihr zu zeigen, dass ich mich um sie sorge." Und dass Julia ebenso gut hätte rechtsradikal oder drogenabhängig hätte werden können.

Wie realistisch ist ihr Fall?

Leider ziemlich realistisch, wie diese Studie (PDF-Download) zeigt. Unter denen, die sich dem IS anschließen, sind nicht selten deutsche Frauen ohne Migrationshintergrund, die sich extrem schnell radikalisieren. Mehr dazu in unserem Faktencheck.

Der richtige Zeitpunkt für den Klogang

Im Zweifelsfall die ersten zehn Minuten, die sich vor allem um den Mord drehen, von dem sich am Ende herausstellt, dass er nichts mit dem eigentlichen Thema der Folge zu tun hat.

Wo verläuft die Grenze zwischen Islam und Islamismus?

Dort, wo der Rechtsstaat ignoriert oder übergangen wird. "Sprich zu Allah, wenn dich was quält", ordnet Amina an, als Julia zugibt, mit der Polizei gesprochen zu haben. Und meint damit: Nur zu Allah. "Lass doch die kuffar (= Ungläubigen) machen, was sie wollen." Auch der Imam liegt falsch, wenn er gegenüber Borowski von "Ihren Gesetzen" spricht. Es sind die Gesetze, die für jeden gelten, der in Deutschland lebt. Wie viel älter der Koran ist, tut nichts zur Sache.

Der "Tatort"-Chic

Zeigt sich in einem typischen Treffen zwischen Ermittlern und Gerichtsmedizinern, die sich dem Zynismus hingeben, um sich gegen die schlimmsten Bestandteile ihres Jobs abzuschirmen.

"Moin Florian! Na, was hast du Schönes für uns?", fragt da Borowski munter.

Antwort: "Weibliche Leiche, circa 1,60, schlank. Vom Gesicht ist nicht viel übrig geblieben. (…) Die hatte wohl 'ne Begegnung mit mindestens einer Schiffsschraube, wenn Se mich fragen..."

Zitat für die Ewigkeit

"...beschlagnahmt vom 'Scheiß-System'."

Borowski, nachdem er Julias Handy aus dem Autofenster geworfen hat, um sie vor dem IS zu schützen — und vor dem Verfassungsschutz, der sie nach Syrien fliegen lassen will, um an die Hintermänner zu kommen.

Was bleibt von diesem "Tatort"?

Drängender denn je die Frage, wie sich den Islamisten das Handwerk legen lässt, ohne Muslime unter Generalverdacht zu stellen und die Errungenschaft der Unschuldsvermutung aufzugeben, nur weil jemand Bart und Gebetsmütze trägt und Arabisch spricht. Wie man die Selbstreinigungskräfte im Islam stärken könnte, den Widerstand gegen die Dschihadisten, wie er nach etwa einer Stunde auch im Film zu sehen ist.

Und auch, dass man es mit dem Einsatz von V-Leuten leicht übertreiben kann, wird einmal mehr schmerzhaft deutlich.

(tojo)
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