Annette Frier "Jedes Leben ist lebenswert"

Bisher kannte man die Annette Frier eher aus Komödien. Im Drama "Nur eine Handvoll Leben" spielt sie nun eine Mutter, die vor einer schweren Entscheidung steht.

Hamburg Sechs Monate lang haben sich Annette und Thomas Winterhoff bedingungslos auf ihr Baby gefreut. Dann kommt die Diagose: Das ungeborene Mädchen hat einen Gendefekt. Kinder, die mit einer Trisomie 18 geboren werden, haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von nur sechs Tagen, nur 15 von 100 Kindern erreichen das fünfte Lebensjahr. Bei dem auch Edwards-Syndrom genannten Gen-Defekt erhöht sich die Sterblichkeit aufgrund multipler Schädigungen. Mädchen sind häufiger betroffen. Im Film kommt für die Mutter ein später Schwangerschaftsabbruch zunächst nicht in Frage. Annette Frier spielt die Hauptrolle in "Nur eine Handvoll Leben" (ARD, 20.15 Uhr), der sich vor allem mit der Frage auseinandersetzt: Wann ist das Leben lebenswert?

Der Film erzählt, aber urteilt nicht. Hat der Dreh Ihren Blick auf behinderte Kinder verändert?

Annette Frier Mir ist das Thema sehr geläufig, weil wir selbst unsere Kinder in eine integrative Kita geschickt haben. Auch in der Schule lernen Behinderte mit Nichtbehinderten zusammen. Ich habe da also wenig Berührungsängste.

Würden Sie denn vor der Geburt wissen wollen, ob ihr Kind gesund ist oder nicht?

Frier Als ich mit meinen Zwillingen schwanger war, bin ich völlig naiv durch diese ganzen Untersuchungen gegangen. Da hieß es nur: Das ist zwar eine Risikoschwangerschaft, aber das geht schon. Und es war ja auch alles gut. Aber wenn ich jetzt noch mal schwanger wäre, würde ich eine Fruchtwasseruntersuchung zum Beispiel gar nicht mehr machen lassen. Ich würde mir nicht die Frage stellen wollen: Ist dieses Leben lebenswert oder nicht? Ich glaube, ich würde auch ein krankes Kind bekommen.

Würden Sie das auch anderen Frauen raten, die ein krankes Kind erwarten?

Frier Das muss jeder Betroffene für sich selbst entscheiden. Ich bin ein ganz schlechter Ratgeber und möchte absolut keine Botschafterin für eine klare Aussage sein. Außerdem ist mir vollkommen klar, dass ein großer Unterschied besteht zwischen meiner theoretischen Betrachtung und einer Prüfung in der Praxis. Aber dass wir diese Frage öffentlich besprechen, finde ich absolut legitim.

Auch die Hauptfigur Annette im Film entscheidet sich schlussendlich für ihre behinderte Tochter. Sie drehen auch mit einem Kind, das tatsächlich an Trisomie 18 erkrankt ist. Wie war das für Sie?

Frier Das ganze Team war an diesem Drehtag sehr angefasst, übrigens weil wir so glücklich waren. Ich hatte zu diesem Kind eine kurze intensive Bindung. Es hat so toll mitgemacht, war ganz wach, hat sich hochgestreckt, hat mich angeschaut, obwohl es ja wirklich fast blind ist. Da war sogar der Vater erstaunt. Und das war für mich einfach das Zeichen: Das ist richtig, was wir hier machen.

Bisher verbindet man Ihre Person ja vor allem mit komödiantischen Noten - etwa in der Rolle der Anwältin "Danni Lowinski" in der gleichnamigen und preisgekrönten Serie.

Frier Das stimmt. Ich versuche auch im größten Drama das Komödiantische zu suchen, da halte ich es mit Tschechow. Das ist dann vielleicht meine Handschrift.

In "Nur eine Handvoll Leben" müssen Sie über Leben oder Tod Ihres Kindes entscheiden. Der Film stimmt nachdenklich, macht traurig, aber belastet nicht. Wie haben Sie das geschafft?

Frier Wir haben versucht, einen Film übers Leben und nicht über den Tod zu machen. Man soll sehen, dass diese Frau ja eigentlich glücklich sein will. Ich glaube einfach fest daran, dass der Mensch, der in eine Krise gerät, auch einen gesunden Mechanismus hat, aus dieser Krise wieder herauszukommen. Es ist unser Überlebenstrieb, uns immer gen Sonne auszurichten.

Die Figur Annette Winterhoff muss darüber hinaus noch eine Patchwork-Familie zusammenhalten. Ihre Tochter Julia ist in der Pubertät und rebelliert gegen die Mutter und deren Beziehung.

Frier Ja, aber gerade das ist auch meine eigene Erfahrung mit Tod und mit Krankheit: Es gibt bereits ein Leben und einen Alltag, der einen zusätzlich fordert. Dieses Paar muss diese Grundsatzentscheidung treffen und trotzdem irgendwie funktionieren.

Die Entscheidung darüber, ob ein krankes Kind angenommen oder abgetrieben wird, ist sehr intim. Ist das Stoff für einen Fernsehfilm?

Frier Unbedingt! Es geht um eine Entscheidung, die an einer Tabugrenze rüttelt und daher fast schon politisch ist. Weil man vielleicht auch nicht so gut aussieht in so einer schwierigen Situation, weil man ein wenig hässlich wird, weil man Angst bekommt. Und es ist wichtig, dass man auch im Fernsehen solche Stoffe serviert bekommt - und nicht nur im Kino.

Sie waren kürzlich auf der großen Leinwand in Hape Kerkelings Buchverfilmung "Ich bin dann mal weg" zu sehen. Was wollen Sie beruflich noch erreichen?

Frier Ich bin eigentlich mittendrin! Wenn ich weiter so frei arbeiten darf, dann bin ich sehr einverstanden und zu allen Experimenten bereit. Ich plane meinen Urlaub und nicht meine Karriere, das macht auch viel mehr Spaß.

LISA KREUZMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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