Staatsanwaltschaft Mainz Verfahren gegen Böhmermann eingestellt - "Eine gute Nachricht"

Mainz · Die Ermittlungen gegen ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen "Schmähgedicht" über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sind eingestellt worden. Doch ganz bereinigt ist die Sache noch nicht.

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Foto: Screenshot Youtube

Strafbare Handlungen seien nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, teilte die Staatsanwaltschaft Mainz am Dienstag mit.

Der 35-jährige Satiriker kündigte an, sich an diesem Mittwoch in Köln mit einer persönlichen Erklärung an die Öffentlichkeit zu wenden. "Hey, Presse: Morgen, Mittwoch 5.10.2016, werde ich um 16.30 Uhr ausführlich persönlich Stellung nehmen. Mehr hier", schrieb Böhmermann auf seiner Facebook-Seite. Ob er dabei Fragen von Journalisten zulassen will, ist offen.

"Die Staatsanwaltschaft hat unserer von Anfang an geäußerten Einschätzung der Rechtslage entsprochen", teilte Böhmermanns Rechtsanwalt Christian Schertz am Dienstag mit. "Anders als etwa die Bundeskanzlerin, die offenbar in Unkenntnis des genauen Sachverhalts ihren Regierungssprecher die satirische Nummer von Herrn Böhmermann sogleich pauschal als "bewusst verletzend" bewerten ließ, noch dazu gegenüber einer ausländischen Regierung, hat die Staatsanwaltschaft erkannt, dass man das Gedicht nicht solitär betrachten kann."

Die öffentliche juristische Bewertung der künstlerischen Arbeit von Jan Böhmermann durch die Bundeskanzlerin sei vor dem Hintergrund der Einstellung der Ermittlungen umso mehr nicht nur eine Kompetenzüberschreitung und eine nicht hinzunehmende Verletzung der verfassungsgemäßem Gewaltenteilung, sondern sei einer öffentlichen Vorverurteilung gleichgekommen. Sie wiege umso schwerer, als dass sie von der türkischen Regierung als Ermutigung habe aufgefasst werden können, straf- und zivilrechtlich gegen Böhmermann vorzugehen.

Der Grimme-Preisträger hatte das Gedicht "Schmähkritik" Ende März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte darauf wegen Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Dabei ging es zum einen um den Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches.

Zum anderen hatte die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten nach Paragraf 103 erteilt. Im November kommt außerdem eine Privatklage Erdogans gegen Böhmermann in Hamburg vor Gericht.

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Foto: dpa/Christophe Gateau

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Mainz ist nicht sicher, ob Böhmermann Erdogan vorsätzlich beleidigt hat. Auch sei fraglich, ob es überhaupt eine Beleidigung war - dazu sei "die Äußerung eines herabwürdigenden persönlichen Werturteils über einen Dritten" nötig.

"Das ist eine gute Nachricht", erklärte ZDF-Intendant Thomas Bellut. "Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft macht in ihrer ausführlichen Begründung deutlich, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft einen außerordentlich hohen Stellenwert besitzt."

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki erklärte: "Die Einstellung des Verfahrens zeigt: Unser Rechtsstaat funktioniert." Und weiter: "Auch der Versuch Erdogans, auf die deutsche Politik un nd Rechtsprechung Einfluss zu nehmen, ist klar am Rechtsstaat zerschellt."

Lob kam auch von Sevim Dagdelen von der Fraktion Die Linke: "Man kann der Mainzer Staatsanwaltschaft nur danken", sagte sie und fügte hinzu: "Im Gegensatz zur vorverurteilenden Bundeskanzlerin Merkel verteidigt sie die Kunst- und Pressefreiheit in Deutschland gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, einen erklärten Feind der Pressefreiheit."

Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Mainz: "Das ist die einzig richtige Entscheidung. Damit ist klar, dass in Deutschland die Satirefreiheit einen höheren Stellenwert besitzt als die Ehrpusseligkeit eines Autokraten", teilte DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall mit.

Mit seinem Gedicht über Erdogan wollte Böhmermann nach eigenen Angaben den Unterschied zwischen erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik aufzeigen. Der Text handelt unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie und transportiert außerdem Klischees über Türken.

Ganz ausgestanden ist die Angelegenheit für Böhmermann noch nicht: Vor der Zivilkammer des Landgerichts Hamburg geht es am 2. November in mündlicher Verhandlung noch einmal um sein Gedicht.

Der türkische Präsident will erreichen, dass der gesamte Text verboten wird. Auf seinen Antrag hatte das Landgericht bereits eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen und ihm verboten, große Teile seines Gedichts zu wiederholen.

Das juristische Vorgehen der Türkei und ihres Staatschefs gegen Böhmermann fußt vor allem auf zwei Paragrafen des Strafgesetzbuches (StGB).

  • Der Paragraf 185 StGB definiert den Tatbestand der Beleidigung, der je nach Schwere der Tat mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden kann. Juristen verstehen unter Beleidigung die "Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung in beliebiger Form".
  • Üble Nachrede und Verleumdung gelten als weitere Delikte gegen die Ehre und sind in den Paragrafen 186 bis 188 des StGB geregelt.
  • Die Staatsanwaltschaft nimmt die Strafverfolgung aber erst auf, wenn der in seiner Ehre Verletzte einen Strafantrag stellt. Es geht hier also um ein sogenanntes Antragsdelikt, nicht um ein Vergehen, das die Justiz immer verfolgen muss.
  • Laut Paragraf 103 StGB muss mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt.
  • Denn ausländische Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und diplomatische Vertreter genießen nach deutschem Recht den Schutz ihrer Ehre - egal ob sie sich im In- oder Ausland aufhalten. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.
  • Voraussetzung für eine Strafverfolgung ist laut Paragraf 104a StGB allerdings, "dass die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält (...), ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt".
(hebu)
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