Böhmermann-Schmähgedicht Das sagen junge Deutsch-Türken zum Satire-Streit

Düsseldorf · Ist Satiriker Jan Böhmermann mit seinem Erdogan-Gedicht zu weit gegangen? Seit Tagen diskutiert ganz Deutschland um die Wette. Wir haben drei junge Menschen mit türkischen Wurzeln nach ihrer Meinung gefragt.

Selbst treue Fans sehen das Böhmermann-Gedicht kritisch.

Selbst treue Fans sehen das Böhmermann-Gedicht kritisch.

Foto: dpa, kde

Duygu Gezen: "Der Trick war mir zu billig"

"Ich gucke jede Woche das 'Neo Magazin Royale', höre 'Sanft und Sorgfältig' (die Radiosendung von Jan Böhmermann und Olli Schulz, Anm. d. Red.) und bekomme sofort eine Benachrichtigung auf mein Smartphone, wenn Jan Böhmermann etwas twittert. Man kann mich also schon als Fan bezeichnen. Von dem Schmähgedicht habe ich erst durch die heftigen Reaktionen erfahren. Es ist problematisch und ich muss sagen, dass ich beim Gucken ein ungutes Gefühl im Bauch hatte. Im Gegensatz zu meinen Eltern bin ich ganz sicher keine Anhängerin von Erdogan, aber ich fand es einfach nicht gut. Natürlich hat Böhmermann das alles extra gemacht und natürlich habe ich auch seinen Ansatz verstanden — aber der Trick war mir zu billig. Das ist so, als würde man in der Klasse sitzen und den Lehrer fragen: 'Herr Lehrer, darf ich Fotze sagen?' Die Worte, die er gewählt hat, sind außerdem keine Erdogan-spezifischen Beleidigungen, sondern eine Aneinanderreihung der billigsten und schlimmsten Klischees gegen Türken, die es überhaupt gibt. Da steht zwar Erdogan als Name, aber es könnte auch genauso Ali oder Mustafa heißen. Diese typischen Vorurteile geben dem Ganzen einen rassistischen Beigeschmack — Metaebenen hin oder her. Im Gegensatz zum extra3-Lied fehlt Böhmermann in diesem Fall der inhaltliche Ansatz. Ich mag ihn nach wie vor — aber vielleicht sehe ich ihn jetzt mit anderen Augen."

Murat Saglam: "Das muss man aushalten können"

"Ich habe den Kölner Karneval erlebt, hier sprüht alles nur vor politischer Satire. Da lernt man, mit einer solchen Debatte umzugehen. Der größte Fehler, den Deutschland machen kann, ist Angst vor einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung Böhmermanns zu haben. Man sollte sich auf das deutsche Rechtssystem verlassen — und sich nicht in einer Diskussion zum Thema verlieren. Wir dürfen uns nicht von der Türkei vorschreiben lassen, was Satire ist und was nicht. Die Diskurse rund um das Thema, was Satire ist und was Satire darf, sollten unbedingt weiter geführt und diskutiert werden. Trotz aller Liberalität habe ich eine klare Position zur Debatte um Böhmermann. Ich bin ein totaler Fan von ihm, aber das hätte er inhaltlich wirklich besser machen können. Böhmermann zieht sich an der Person Erdogans hoch, bedient sich an Vorurteilen und hat nur wenig Bezug zur Sache. Aber auch wenn man das Gedicht nicht mag, muss man es meiner Meinung nach aushalten können. Ich lebe in einer dynamischen, multikulturellen Gesellschaft, auch ich lebe nicht exklusiv ein türkisches, deutsches oder britisches Leben, sondern mit all diesen Einflüssen, die mich geprägt haben. Gerade deswegen empfinde ich es als legitim, dass Erdogan Kritik ausübt und dass sich an der ganzen Debatte gerieben wird. Wenn Satire alles darf, dann darf sie auch jeder kritisieren."

Jetzt diskutieren wir seit Tagen über Erdogan, Böhmermann und Co. Überall Empörte und Kulturkämpfer. Satire hat ihre Grenzen. Punkt. Und auch das Beleidigtsein hat seine Grenzen. Punkt. Kurz vor dem Erdogan-Beitrag von Jan Böhmermann wurde bekannt, dass zwei der im NSU-Mord-Prozess Angeklagten in der Vergangenheit Angestellte des V-Mannes "Primus" waren — der wiederum vom bundesdeutschen Verfassungsschutz bezahlt wurde. Deutsche Steuergelder könnten also indirekt von diesem V-Mann an die NSU-Mörder geflossen sein. Was sagt es eigentlich über den geistigen Zustand einer Gesellschaft, wenn das eine wochenlang Politik, Medien und Feuilleton beschäftigt und das andere höchstens schulterzuckend als Randnotiz zur Kenntnis genommen wird? Was sagt es über den Medienmacher aus, der händereibend den x-ten Beitrag über ,Darf man das?` schreibt, statt sich investigativ in ein entscheidendes Thema zu knien? Cui bono - wem zum Vorteil? Einer gesunden Gesellschaft jedenfalls nicht."

(gol)
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