Debatte um Erdogan-Gedicht Im Fall Böhmermann ist der Rechtsstaat gefragt

Meinung | Berlin · Es ist eine politisch heikle Frage zu entscheiden, ob die Bundesregierung dem Strafverlangen der Türkei nachkommt und die Satire von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten gerichtlich überprüfen lässt. Dabei ist das in einem Rechtsstaat eigentlich ein normaler Vorgang.

 Böhmermann vs. Erdogan: Der Streit um das Schmähgedicht beschäftigt auch die Bundesregierung.

Böhmermann vs. Erdogan: Der Streit um das Schmähgedicht beschäftigt auch die Bundesregierung.

Foto: dpa, kde

Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein sehr hohes Gut, auf das wir zu Recht stolz sind. Der Umfang der Meinungsfreiheit ist ein wesentlicher Gratmesser, wie entwickelt eine Demokratie ist und wie tolerant die Bürger miteinander umgehen.

Ob Meinungsbeiträge zu weit gehen, andere beleidigen oder deren persönliche Ehre verletzen, müssen bei uns im Streitfall Gerichte klären. So läuft das in einem Rechtsstaat. Es spricht nichts dagegen, dass die Justiz auch beurteilt, ob der Satiriker Böhmermann die gesetzlichen Grenzen mit seiner Schmähkritik gegen den türkischen Präsidenten Erdogan überschritten oder ob er zulässige Satire verbreitet hat.

In Deutschland müssen die Behörden jeder Anzeige nachgehen - sei sie noch so absurd. Wenn einer meint, der Nachbar habe etwas Unrechtes getan und dies anzeigt, sind die Behörden verpflichtet, dies zu überprüfen - unabhängig davon, ob die Anzeige möglicherweise von einem Querulanten mit persönlichen Motiven gegen den Nachbarn kommt. Wenn nun der türkische Präsident den Vorwurf erhebt, eine Satire gegen ihn, sei ein Rechtsverstoß, sollte man diesen Vorwurf von einem Gericht klären lassen - unabhängig davon, ob man Erdogan wiederum politische Motive für seine Forderung nach einer Strafverfolgung des Satirikers unterstellt.

In der aktuellen Lage der Flüchtlingskrise, in der Europa und insbesondere Deutschland auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen sind, mag ein Nachgeben der deutschen Regierung wie ein Kotau aussehen. Das Ansinnen der Türken sollte man aber möglichst unabhängig von der Flüchtlingskrise beurteilen. Wie würden wir reagieren, wenn Frankreichs Präsident Hollande mit einer Schmähkritik überzogen worden wäre und um eine rechtliche Prüfung bäte? Nichts wäre selbstverständlicher.

Erdogan selbst verletzt in seinem eigenen Land die Meinungsfreiheit aufs Gröbste. Damit hat er aber nicht das Recht verwirkt, dass eine Schmähkritik gegen ihn aus Deutschland nach unseren Maßstäben der Meinungsfreiheit auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird. Angesichts der bisherigen Urteile zur Kunst- und Meinungsfreiheit stehen die Chancen gut, dass ein solcher Prozess ganz anders ausgeht, als der türkische Präsident sich das wünscht.

(qua)
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