"Hart aber fair" mit Frank Plasberg Ein Helfer-Talk beschämt die Politik

Düsseldorf · Bei Frank Plasberg kommen am Montag die zu Wort, die wirklich wissen, worum es in der Flüchtlingskrise geht. Fünf Helfer berichten von zum Teil erschütternden Erfahrungen. Der Politik halten sie vor, ein unwürdiges Theater zu veranstalten, anstatt die echten Probleme anzupacken.

 Lothar Venus, Heike Jüngling und Sandro Poggendorf berichteten bei Plasberg von ihrem täglichem Kampf mit dem Chaos.

Lothar Venus, Heike Jüngling und Sandro Poggendorf berichteten bei Plasberg von ihrem täglichem Kampf mit dem Chaos.

Foto: Screenshot ARD

So gut, so aufklärerisch kann Fernsehen sein. In der jüngsten Ausgabe von "Hart aber fair" ging es ausnahmsweise nicht kontrovers zu, sondern konstruktiv. Dass Menschen miteinander reden, ist in deutschen Talkshows eine Ausnahmeerscheinung. Dabei kann es ein solcher Gewinn für den Zuschauer sein.

Zu Gast bei Plasberg sind fünf Menschen, die mitten drin sind in der Flüchtlingskrise, in den Debatten über Familiennachzug, Obergrenzen und Überforderung, aber zu selten zu hören sind. In ihren Schilderungen machen sie das Chaos, von dem so oft die Rede ist, greifbar.

Lothar Venus, zweiter Bürgermeister von Wegscheid an der österreichischen Grenze, erzählt von den Bussen voller Flüchtlinge, die mitten in der kalten Nacht an der grünen Wiese ankommen und er nicht weiß, wohin mit den wimmernden Kindern.

Die Sozialdezernentin Heike Jüngling aus Königswinter kennt das. Auch bei ihr landen oftmals überraschend Busse voller Menschen, die sie kurzfristig irgendwo unterbringen muss. Viele handelten nach dem Motto: "Hauptsache, die Menschen sind weg." In ihren Teams ist die Grenze der Belastbarkeit bereits überschritten. "Da gibt's kein Wochenende, da gibt's keinen Feierabend, da gibt's kein Meckern", fasst sie zusammen. Eine erste Mitarbeiterin habe kürzlich gekündigt, weil sie mit ihren Kräften am Ende war.

Der Berliner PR-Berater Holger Michel hat nach Ressourcen. Er arbeitet ehrenamtlich in einem Flüchtlingsheim. Er personifiziert in seinem Optimismus geradezu das Mantra "Wir schaffen das". "Wir können über uns hinauswachsen", sagt er. Was er vom Alltag in der Flüchtlingsunterkunft erzählt, beeindruckt sehr. Dort zu arbeiten, heißt ständig zu improvisieren. Ständig. Die Krise ist hier ein Dauerzustand, nahezu täglich wird das Team mit Unvorhersehbarem konfrontiert.

Großen Eindruck hinterlassen seine Aufzeichnungen in Form eines Tagebuchs. In ihnen wird das Chaos sichtbar. Keine Zusammenarbeit mit den Behörden, stattdessen wochenlanges Warten auf Genehmigungen für ein paar Waschmaschinen. Computer für den Organisationsbedarf haben die Freiwilligen selbst mitgebracht. Dann werden abends kurzfristig Busse mit 150 Menschen angekündigt. Schnell wird das Team mit Helfern zusammengetrommelt, koordiniert, was es an Hilfsmitteln braucht.

Alles vergeblich, wie sich nach einigen hektischen Stunden zeigt. Die Busse kommen nicht. Erst am Morgen, heißt es jetzt. Die Helfer ziehen ab, um nach ein paar Stunden Nachtruhe wiederzukommen. Abermals vergeblich, wie sich zeigt. Erst gegen Mittag kommen die neuen Bewohner. Nicht 150 wie angekündigt, sondern 250. In der Not streckten Helfer aus privaten Beständen das Geld für Baby-Nahrung vor. "Entweder handeln oder ich sehe zu, wie die Babys im Flur verhungern", sagt Michel.

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Foto: Endermann, Andreas

Das Chaos in Organisation und Erfassung zieht sich durch. "Was sich hier abspielt, ist eine Katastrophe", sagt der MDR-Journalist Sandro Poggendorf, der durch seine zahllosen Gespräche mit Flüchtlingen und Bürgern in Ostdeutschland die akuten Nöte der Menschen kennt. Mit der "Katastrophe" ist freilich nicht der Strom der Flüchtlinge gemeint, sondern das Versagen der Behörden.

Auch die Bochumer Polizistin Tania Kambouri, bekannt durch ihr Buch "Deutschland im Blaulicht", macht sich Sorgen wegen der wachsenden Zahl unregistrierter Flüchtlinge. Die Polizei sei hilflos, wenn sie Menschen nicht identifizieren könne, weil sich dann auch Straftaten nicht ahnden lassen. Bei den Tätern kommt nach ihrem Eindruck die fatale Botschaft an, dass man in Deutschland folgenlos Straftaten begehen kann. Dabei argumentiert sie durchaus differenziert. Es geht ihr nicht darum, Flüchtlinge als Straftäter zu diffamieren, das gibt auch nach ihrem Wissen keine Statistik her. "Aber ich habe Angst, dass diese Menschen in Parallelgesellschaften abdriften."

Bemerkenswert in dieser Sendung: Niemand führt hier Scheingefechte, um sich oder seine Partei in Szene zu setzen. Stattdessen ärgern sich alle Gäste einmütig über die aktuelle Debatte in der Politik. Der Streit über den Familiennachzug syrischer Flüchtlinge ist in ihren Augen nur Theaterdonner, hilft aber nicht, Probleme vor Ort zu lösen.

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Foto: ALESSANDRO BIANCHI

Im Kern sind das die immer noch viel zu langsamen Verfahren. Nichts ist planbar, es fehlt an Kommunikation und System. Helfer werden mit Erfassung, Koordination und Verfahren alleingelassen. Manche Schilderung lässt einem die Haare zu Berge stehen. "Wir haben uns selbst organisiert", berichtet Sozialdezernentin Jüngling, einmal seien Flüchtlinge auf eigene Faust zum Ministerium nach Düsseldorf gefahren und unverrichteter Dinge wieder zurückgekommen. Es gab keine Termine. Der Journalist Poggendorf erzählt an anderer Stelle, wie Helfer mangels PC ihre kostbare Zeit damit verbrachten, Etiketten mit der Hand zu beschriften.

Hass-Parolen, auch das ist eine Gemeinsamkeit in der Gästerunde, haben an diesem Abend nicht den Hauch einer Chance. Als eine Zuschauerin via Facebook den Flüchtlingen eine "Versorgungsmentalität" vorwirft, können alle nur den Kopf schütteln. Holger Milde demontiert solche Hetz-Parolen mit einigen wenigen Bemerkungen aus seinem Erfahrungsschatz. "Das größte Problem ist die Langeweile, die Deutsch-Kurse sind voll, wir haben Wartelisten", beschreibt er den Integrationswillen der Bewohner.

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(pst)
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