"Hart aber fair" "Da müssten wir jede halbe Stunde einen Test machen"

Düsseldorf · Sind psychisch Kranke eine potenzielle Gefährdung für ihre Mitmenschen? Frank Plasberg ließ Experten diskutieren. Die kamen zu einem ernüchternden Schluss: Auch schärfere Kontrollen hätten Copilot Andreas L. kaum stoppen können. Aber womöglich ein anderes Umfeld.

 Florian Holsboer diskutierte am Montagabend bei Frank Plasberg.

Florian Holsboer diskutierte am Montagabend bei Frank Plasberg.

Foto: Screenshot

Eine Woche liegt der Absturz der Germanwings-Maschine zurück, nach Maischberger, Illner, Jauch widmete sich am Montag auch Frank Plasberg dem Thema. Das allerdings unter einem besonderen Gesichtspunkt, der bestens zu den Ereignissen vom Montag passte: "Notfall Psyche — Gefahr auch für die Mitmenschen?" titelte Plasberg. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf bekannt gegeben, dass Andreas L. früher suizidgefährdet war und damit eine Debatte über eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht entfacht.

Mit der Ansicht, Depressive könnten eine Gefahr für ihre Umwelt sein, räumten Plasbergs angenehm zurückhaltend diskutierenden Gästen schnell auf. "Ein Mensch mit Depressionen begeht eine solche Tat nicht", erklärte Florian Holsboer, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und medizinischer Experte für Depressionen.

Zwar gibt es seinen Studien zufolge durchaus das Phänomen des erweiterten Suizids, bei dem ein Selbstmörder Menschen mit in den Tod nimmt. Das aber geschehe bei Depressiven entweder aus einer Art übersteigerter Fürsorge, bei der sie Angehörige nicht allein zurücklassen wollten. Oder aber aus einem wahnhaften Hass auf eine bestimmte Person.

Den Begriff des erweiterten Suizids wollte Holsboer daher im Hinblick auf das Germanwings-Unglück nicht gelten lassen. Bei aller Zurückhaltung was Spekulationen über Hergang und Hintergrund der Katastrophe angehe - Andreas L. habe vermutlich an einer sehr starken Persönlichkeitsstörung mit wahnhaften Vorstellungen gelitten. Für einen an Depression erkrankten Menschen war die Tat aus seiner Sicht vollkommen untypisch.

Doch Mutmaßungen blieben bei Plasberg nur eine Randerscheinung. Vor allem die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth wehrte sich gegen vorschnelle Urteile: "Ich weigere mich, von Verbrechen zu sprechen, solange ich noch gar nichts weiß." Stattdessen befasste sich die Diskussion immer wieder mit einer viel umfassenderen Frage: dem Umgang mit psychisch Kranken in unserer Gesellschaft.

Gerade hier mochte man sich wünschen, dass die Befürworter einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht zugehört hätten. Denn wie insbesondere der Pilot und Luftfahrtpsychologe Raphael Diepgen immer wieder erkläte: Mehr psychologische Tests für Piloten bringen überhaupt nichts. Schon einen Tag nach der Untersuchung könne eine Krankheit hervorbrechen. "Da müssten wir jede halbe Stunde einen Test machen."

Holsboer wies darauf hin, dass sich psychische Erkrankungen erst diagnostizieren ließen, wenn sie voll zum Ausbruch gekommen seien. Im Gegensatz zu einer Krebserkrankung könne man eben nicht durch eine Gewebeprobe frühzeitig feststellen, ob sich eine Erkrankung im Körper entfaltet.

Für Anwalt und Opfer-Vertreter Christof Wellens eine unbefriedigende Ansicht. Er wünschte sich schärfere Kontrollen und zeigte sich offen für eine Art gesetzliche Meldepflicht. Ähnlich wie bei Erziehern mit Windpocken oder Köchen mit Salmonellen sollten Ärzte dann den Arbeitgeber auch über Piloten mit psychischen Störungen informieren.

Die Mediziner Holsboer und Diepgen taten das als "zu kurz gedacht" ab. Sie verwiesen auf das Dilemma, das immer dann greift, sobald ein Patient persönliche Konsequenzen fürchtet, wenn er sich anvertraut. Denn wer spricht schon offen über seine Nöte, Unsicherheiten oder gar Depressionen, wenn er befürchten muss, am nächsten Tag die Kündigung im Briefkasten zu haben und möglicherweise seinen Lebenstraum zu zerstören. Schon jetzt sprächen Piloten gegenüber Flugmedizinern nur "selektiv" über ihre Probleme.

Insbesondere Annette Weddy wusste davon zu berichten, was im Arbeitsumfeld an negativen Folgen bei einer psychischen Erkrankung möglich ist. Weil sie an Depressionen erkrankt war, verlor sie bereits zweimal ihre Arbeit. Jetzt kämpft sie als führendes Mitglied der Deutschen Depressionsliga gegen die Stigmatisierung der Krankheit.

Dies war auch oberstes Anliegen von Süssmuth: Sie setzte sich mehrfach dafür ein, psychische Erkrankungen aus der Tabuzone zu holen und offener damit umzugehen. Ihr Wunsch und Ziel: Ein Arbeitnehmer soll genauso selbstverständlich zum Psychiater gehen wie zum Zahnarzt.

Unterm Strich blieb vor allem die Erkenntnis, dass ein besserer, offener Umgang mit solchen Patienten das Beste ist, was wir tun können, um mehr Sicherheit zu erlangen. Die Vorstellung, mit Vorschriften alles kontrollieren zu können, stößt spätestens beim Innenleben des Menschen an ihre Grenzen.

"Es bleiben immer Restrisiken", bilanzierte Diepgen. "Das heißt alle Untersuchungen sind im Fall Andreas L. korrekt gelaufen, auch gesetzliche Korrekturen sind nicht erforderlich?", fragte Plasberg einigermaßen fassungslos.

Diepgen bestätigte mit einem trockenen "Ja."

(pst)
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