"Hart aber fair"-Diskussion So lief das TV-Experiment zu Schirachs "Terror"

Düsseldorf · Fernsehdeutschland hat abgestimmt: Mit 86,9 Prozent haben sich die Zuschauer der ARD für einen Freispruch des angeklagten Piloten in Ferdinand von Schirachs Theaterstück "Terror" entschieden. Doch bei der Abstimmung hakte es. Bei "Hart aber fair" wurde heftig diskutiert.

 Eine Szene aus dem Film "Terror".

Eine Szene aus dem Film "Terror".

Foto: dpa, kde

Ist ein Kampfpilot, der ein entführtes Flugzeug mit 164 Passagieren abschießt, um 70.000 Menschen in einem Fußballstadion zu retten, ein Mörder, der verurteilt gehört? Mit dieser Frage setzte sich am Montagabend Fernsehdeutschland auseinander, als die Zuschauer der Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Theaterstück "Terror" per Live-Abstimmung dazu aufgerufen waren, zu entscheiden, ob der Mann schuldig oder nicht schuldig ist. Das Ergebnis war eindeutig: 86,9 Prozent entschieden sich für "nicht schuldig", 13,1 Prozent sprachen sich für "schuldig" aus. Wie unlösbar der in "Terror" dargestellte Konflikt tatsächlich ist, zeigte die Diskussion bei Frank Plasbergs "Hart aber fair" im Anschluss.

 Thomas Wassmann, ehemaliger Kampfjetflieger, Theologin Petra Bahr und Gerhart Baum diskutieren bei Plasberg.

Thomas Wassmann, ehemaliger Kampfjetflieger, Theologin Petra Bahr und Gerhart Baum diskutieren bei Plasberg.

Foto: Screenshot hartaberfair/ARD-Mediathek

Da gab es zum einen die Befürworter eines Freispruchs für den Piloten, allen voran der ehemalige Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), einer der schärfsten Kritiker eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das besagt, dass Menschenleben nicht gegeneinander aufgewogen werden können. Er plädierte wie Fernsehdeutschland auf einen Freispruch. "Ich fühle mich sehr bestätigt. Die Menschen haben klar erkannt, dass die Passagiere in dem Flugzeug keine Überlebenschance mehr hatten. Es ging nur um die Frage, ob die Menschen im Stadion zu retten waren", sagte er und betonte, er hätte als Minister — im Gegensatz zu der Verteidigungsministerin in dem Film — eine Erlaubnis zu einem Abschuss der Passagiermaschine gegeben.

Dem entgegen stand mit voller Überzeugung der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). Von ihm wollte Plasberg wissen: "Haben die Menschen vor dem Fernseher gegen den Kern unserer Verfassung gestimmt?" Baums schlichte Antwort lautete: "Ja." Allerdings kritisierte er im gleichen Zuge die Anlage des Stückes — man habe als Zuschauer eben Mitgefühl mit dem Angeklagten gehabt, ihn deshalb freisprechen wollen.

Es folgte eine heftige Diskussion. Dabei verteidigte Gerhart Baum immer wieder den Rechtsstaat und die Gültigkeit der Verfassung, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist und somit niemals Menschenleben gegen Menschenleben aufgewogen werden können. Ja, Baum redete sich regelrecht in Rage in dem Bestreben, die Verfassung zu verteidigen. Vor allem Jung widersprach dem immer wieder und erklärte sogar, im Falle eines Falles seine eigene Frau als Passagierin des besagten Flugzeuges mitabzuschießen beziehungsweise abschießen zu lassen.

Während sich die beiden Politiker stets nur über den Abschuss und seine Rechtmäßigkeit stritten, brachten die anderen beiden Gäste der Runde, die Theologin und designierte Regionalbischöfin der Evangelischen Kirche, Petra Bahr, sowie Thomas Wassmann, ehemaliger Kampfjet-Flieger und Vorsitzender des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr, noch zwei andere wichtige Punkte in die Diskussion ein: So kritisierte Wassmann, Piloten wie jener im Film würden in ihrer moralischen Unsicherheit in so einer Frage durch die Politik im Stich gelassen: "Die Entscheidung bleibt bei dem Piloten. Es hat ein Theaterstück und die Verfilmung gebraucht, um das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen." Er wünsche sich eine Sicherheit für die Piloten im Falle eines Falls.

 Auch der frühere Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (hier mit Wassmann) war zu Gast.

Auch der frühere Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (hier mit Wassmann) war zu Gast.

Foto: Screenshot hartaberfair/ARD-Mediathek

Die Frage nach der moralischen und der rechtlichen Schuld

Tatsächlich ist die Entscheidung zu einem Abschuss eines Flugzeuges schwer schnell zu treffen: In so einem Fall müsste nämlich das halbe Bundeskabinett inklusive der Kanzlerin einem Abschuss zustimmen — bei einer akuten Gefahrenlage ist dies kaum zu bewältigen, bestätigte auch Franz-Josef Jung. Er glaube deshalb, die Entscheidung müsse am Ende beim Verteidigungsminister liegen.

Petra Bahr unterschied dagegen als einzige in der Runde zwischen zwei Arten von Schuld: der moralischen und der rechtlichen. Letztere müsse ein Gericht auf Basis der Verfassung regeln. Moralische Schuld sei dagegen etwas, das jeder mit sich selbst ausmachen müsse. "Die Tragik des Films liegt doch darin, dass es kein richtig gibt. Es gibt nur falsch und falscher. Und die Herausforderung für uns Zuschauer liegt darin, das auszuhalten", sagte sie.

Moralisch habe der Pilot danach richtig gehandelt. "Wir müssen verstehen, dass es Situationen gibt, in denen Menschen schuldig werden und vielleicht auch schuldig werden müssen. Das Gewissen wird an seine Grenzen geführt." Und genau das sei die Intention des Stücks: die Gewissensschärfung.

Probleme bei der Online-Abstimmung

Genau aus diesem Grund kritisierte anschließend Gerhart Baum die Live-Abstimmung der ARD (und im übrigen auch der Fernsehanstalten in Österreich und der Schweiz, in denen ebenfalls und mit gleichem Ergebnis abgestimmt wurde): "Die Menschen vor dem Fernseher waren als Richter tätig. Und genau das ist das Problem." Rechtsprechen müsse der Rechtsstaat mit der Verfassung als Grundlage. Und damit wäre der Pilot schuldig.

Fernab des Ergebnisses der Abstimmung gab es aber auch Ärger um ihren Ablauf: Viele User auf Twitter kritisierten, bei der Abstimmung nicht durchgekommen zu sein. Anrufe gingen nicht durch, die Online-Abstimmung war für einige nicht abrufbar, und die Abstimmung schien verfrüht beendet zu sein.

(lai)
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