TV-Kritik Günther Jauch verödet selbst die Wut auf Diktatoren

Düsseldorf · In seiner ersten letzten Talkshow wirkt Günther Jauch müde. Sein Thema: Kann Politik überhaupt noch etwas bewirken? Seine Gäste antworten mit Allgemeinplätzen. Selbst die Frau, die kürzlich die Pressekonferenz mit dem ägyptischen Präsidenten aufmischte, passt sich an.

 Fagr Eladly - die Störerin von Berlin saß bei am Sonntag bei Günther Jauch im Talkshow-Sessel.

Fagr Eladly - die Störerin von Berlin saß bei am Sonntag bei Günther Jauch im Talkshow-Sessel.

Foto: Screenshot ARD

Sonntagabend, 21.45 Uhr, nach dem Tatort. Es ist die erste Ausgabe von Günther Jauch, nachdem er das Aus zum Jahresende bekanntgegeben hat. Der Moderator schweigt zu dem Thema. Das war zu erwarten. Es ziemt sich nicht für einen gestandenen TV-Mann, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken.

Umso mehr schaut man nun an diesem Abend auf Jauch. Geht er jetzt vielleicht mehr aus sich heraus. Legt Fesseln ab oder probiert noch mal etwas aus, zeigt neue Seiten? Am Sonntag Fehlanzeige. Die Zuschauer werden Zeuge einer weitgehend zähen Veranstaltung, überlagert von einer schwierigen, vermutlich zu abstrakten Frage: "Die Welt in Unordnung — kann Politik noch Krisen lösen?" Anlass: der G7-Gipfel in Elmau.

Sehnsucht nach einfachen Antworten

Wer bitte, fragt man sich spontan, kann das beantworten? Es ist die Frage danach, ob Politik überhaupt noch etwas bewirken kann oder schon zur Fassade erstarrt ist zwischen Dauerinszenierung, staatlicher Selbstverwaltung und eitler Selbstdarstellung. Ziemlich deutlich klingt darin auch die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplizierte Probleme an.

Am deutlichsten wird das bei Margot Käßmann, der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden, die beim Evangelischen Kirchentag gerade erst mit ihrer Idee, den Griechen die Schulden zu erlassen, dem deutschen Finanzminister die Laune verdorben hat. Bei Jauch vermisst sie Visionen in der Politik, aber auch Leidenschaft und Authentizität. Der Politik gelängen einfach keine Durchbrüche mehr, klagt sie und regt an, Konflikte doch bitte einfach mal wieder offen auszutragen.

Sie meint damit offenkundig den parlamentarischen Streit und wünscht sich, dass Politik wieder klare Alternativen aufzeigen kann. Bei Jauch wurden kurz zuvor aber auch internationale Krisen wie die in der Ukraine als Beispiel für die Unordnung in der Welt genannt und man will Käßmann am liebsten ein "Um Gottes willen, bitte nicht!" zurufen. Internationale Konflikte offen auszutragen, endet zu oft in Krieg und Elend.

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Altmaier will es harmonisch

Das Gegenmodell zu Margot Käßmann ist Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Er ist an diesem Abend als lebende Sprechblase gekommen. Die Kritik vom gegenübersitzenden Journalisten Gabor Steingart am G7-Gipfel als absurde Inszenierung weist er mit freundlich vorgetragenen Allgemeinplätzen zurück. Dass Politik hier gemeinsame Werte verteidige, Deutschland ein tolles Bild von sich in die Welt hinaustrage, man mit der Kirche wegen gemeinsamer Themen wie Afrika, Gesundheit und Frauenrechten doch auf einer Wellenlänge liege.

Mit Peter Altmaier aus dem Merkel-Ministerium ließen sich vor lauter schönem Wetter noch nicht im Ansatz Konflikte austragen. Randnotiz: Mit dem SPD-Politiker Dietmar Herz teilte er sogar dieselbe Krawattenfarbe, beide waren einheitlich gekleidet. Der ehemalige Politikwissenschaftler, der als Quereinsteiger mehrere Jahre in die Landesregierung von Thüringen gewechselt war, blieb im Übrigen in der Talkshow ein Fremdkörper, wie er es schon in der SPD gewesen ist. Er berichtete von seinen Erfahrungen im Landesministerium und der Ernüchterung, vor lauter Verwaltungszwängen kaum noch Politik gestalten zu können. Ein Grund: fehlende Unterstützung in der eigenen Partei.

Fagr Eladly - Störerin im Talkshow-Sessel

Einen kleinen Coup hatte die Redaktion von Günther Jauch hingegen mit der Einladung von Fagr Eladly gelandet. Die 22-Jährige hatte vor wenigen Tagen im Bundeskanzleramt für großes Aufsehen gesorgt, als sie bei Merkels Pressekonferenz Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi lautstark als "Mörder" beschimpfte. Bei Jauch personifizierte die mit Kopftuch bekleidete Muslima und Tochter ägyptischer Eltern die so schmerzlich vermisste Leidenschaft und Streitlust, außerdem noch als Vorbild für die angeblich politikmüde Jugend in Deutschland. Schon seit dem zehnten Lebensjahr interessiere sie sich für Politik, in Mainz trat sie schon früh bei den Jusos ein.

Ihre Versuche, mit ihrer Kritik an der deutschen Ägypten-Politik, den Waffenlieferungen und Gesprächen mit al-Sisi Gehör zu finden, seien allerdings immer gescheitert. Die Pressekonferenz bei Merkel habe sie als Inszenierung und Schauspiel empfunden. "Daher musste ich laut werden", begründete sie ihren Auftritt. Nun erwarte sie, endlich eine Antwort auf ihre Fragen zu bekommen.

Mut zur Unverschämtheit

Bei Jauch wurde sie enttäuscht. Das Bemerkenswerte: Alle fanden ihr Aufbegehren toll. Jauch begrüßte das als Aufbrechen von Inszenierungen, Steingart lobte ihren Mut zur Unverschämtheit und selbst Altmaier umarmte sie mit Sätzen wie: Ich finde es toll, dass Sie Ihre Meinung sagen. Parteien und Demokratie bräuchten das Engagement junger Leute. Zu einer echten Diskussion über den Umgang mit autoritären Regimen, geschweige denn Antworten auf Eladlys Fragen, kam es aber nicht. Und die 22-Jährige bestand auch nicht darauf.

Dafür aber hätte es Zeit und Konzentration gebraucht. Somit lieferte die Sendung indirekt doch noch Erhellendes zu dem Vorwurf, Politik sei nur noch eine Inszenierung. Dann nämlich, wenn es mühsam und kleinteilig beim Bearbeiten von Problemen wird, steigt die Öffentlichkeit gerne aus, weil es langweilig wird.

(pst)
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