"Team Wallraff" in Duisburg und Wuppertal Recherche zwischen Gammel-Hack und Schimmel-Gurken

Köln · Hackfleisch, neun Monate über dem Verfallsdatum, Gammel-Gemüse und jede Menge Glutamat – in Deutschlands Großküchen scheint es nur um Eines zu gehen: Sparen, Sparen, Sparen. Das "Team Wallraff" hat dieses Mal bei den Caterern recherchiert, die die Schulen der Republik mit Essen versorgen. Dabei kam Erschreckendes zutage.

 Günter Wallraff und sein Team haben in Großküchen recherchiert.

Günter Wallraff und sein Team haben in Großküchen recherchiert.

Foto: RTL / Stefan Gregowius

Hackfleisch, neun Monate über dem Verfallsdatum, Gammel-Gemüse und jede Menge Glutamat — in Deutschlands Großküchen scheint es nur um Eines zu gehen: Sparen, Sparen, Sparen. Das "Team Wallraff" hat dieses Mal bei den Caterern recherchiert, die die Schulen der Republik mit Essen versorgen. Dabei kam Erschreckendes zutage.

Günter Wallraff und neun Schulkinder sitzen in der RTL-Kantine in Köln. Vor den Kids stehen jeweils zwei Teller mit Kantinenessen von verschiedenen Großcaterern aus der Region. Es gibt Rahmspinat mit Salzkartoffeln, Tortellini, Currywurst und Nudeln mit Rahmsauce. Die Schulkinder sollen probieren und dem Reporterteam sagen, was sie von dem Aufgetischten halten.

Das Fazit fällt wenig überraschend eindeutig aus. Nachdem sie einige Zeit lustlos in ihren fad aussehenden Gerichten herumgestochert haben, sagen die Kinder dem Team, was alle hören wollen: Es schmeckt nicht. Einige von ihnen erzählen den Reportern, sie würden überhaupt nie in der Schule essen. "Bei uns bleiben nur die Fünft- oder Sechstklässler zum Essen da", berichtet ein Junge. Andere sprechen von oft "ekligen" Zuständen.

1,3 Millionen Kinder essen in der Schule

Etwa 1,3 Millionen Kinder essen täglich in der Schule. 83 Prozent von ihnen bekommen ihre Mittagsverpflegung von externen Caterern geliefert, weil ihre Schulen keine Köche beschäftigen können. Grund genug für Günter Wallraff und sein Team, die Zustände in den Großküchen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Um die Fallhöhe zu vergrößern, hat sich das Team nur Firmen herausgesucht, die sich mit einem sogenannten Kochmützenzertifikat schmücken, das für besonders hohe Qualitätsansprüche stehen soll.

Erste Station ist die Firma Vitesca in Wuppertal, die täglich bis zu 25.000 Mittagessen für Kitas und Schulen in ganz Deutschland produziert. Reporterin Stefanie Albrecht wird als Küchenhilfe eingeschleust. In ihrer Probewoche wird sie dazu angehalten, schimmelige Gurken zu verarbeiten. Mehrfach entdeckt sie Waren, die nach dem sogenannten Cook- und Chill-Verfahren (erst kochen, dann innerhalb von 90 Minuten auf drei Grad runterkühlen) nicht ordnungsgemäß gekühlt werden, um eine mögliche Keimbildung auszuschließen. So richtig widerlich wird es, als die Reporterin in die warme Küche wechselt. Dort entdeckt sie Fleischpackungen, deren Haltbarkeitsdatum seit neun Monaten abgelaufen ist. Auf Nachfrage erfährt sie dann, dass das Hack in einem "Chili con Carne" verarbeitet werden soll — eine Straftat, wie der vom Team Wallraff hinzugezogene Lebensmittelanwalt Dr. Remo Klinger feststellt.

Auf die Zustände angesprochen, verweist Vitesca darauf, dass alle Mitarbeiter die Anweisung hätten, auf nicht mehr einwandfrei Ware zu verzichten. Die Bilder, die die RTL-Reporter zeigen, sprechen jedoch eine andere Sprache.

Kochen ohne zu kochen

Zweite Station auf der Recherchetour der Reporterin ist die Duisburger Lebensmittelgroßküche Diversa. 600 Essen werden dort täglich zubereitet — zum Teil ohne überhaupt gekocht zu werden. Albrecht wird in der Firma für ein Schnupperpraktikum eingestellt. Sie erlebt, wie Mitarbeiter aus kalten Zutaten wie Wasser, Tomatenpulver, Chilipulver, Dosengemüse und Soja-Hack ein "Chili con Carne" zusammenpanschen, das erst in der Schule zum ersten Mal erhitzt wird.

Team Wallraff undercover in der Pflege
7 Bilder

Team Wallraff undercover in der Pflege

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Wallraff selbst gibt sich in dieser Ausgabe von "Reporer Undercover" als Angehöriger eines Pflegeheimbewohners aus. Im Fokus steht das Essen der Marseille Kliniken AG. Ein Probeessen endet enttäuschend. Eine eigens eingeschleuste RTL-Reporterin fördert auch hier Nachlässigkeiten im Umgang mit Lebensmitteln zutage.

Bis hierher bot Wallraffs Enthüllungssendung wenig Überraschendes. Dass es in Großküchen aufgrund des Kostendrucks in Einzelfällen zu streitbaren Zuständen kommt, ist zwar nicht richtig, doch zu erwarten gewesen. Wesentlich spannender war der zweite Teil der Sendung, in der das RTL-Team versuchte, das System hinter den Großküchen aufzudecken. In Deutschland kann es keinen Händler geben, der gewerbsmäßig abgelaufene Ware an Großküchen verkauft. Oder etwa doch?

Undercover als Caterer

Um diese Frage zu klären, geben sich Wallraff und sein Team in der Sendung als Geschäftsführer eines neuen Cateringunternehmens aus, das auf der Suche nach einem Lebensmittelgroßhändler ist. Als "G&L Catering" versuchen die Reporter in großem Stil Ware anzukaufen, die kurz vor dem Ablaufdatum steht. Dabei erfahren sie, dass ihr Wunsch in der Branche absolut nicht unüblich ist — im Gegenteil: Viele Händler verfügen über Listen, in denen Ware verzeichnet ist, die kurz vor Ablauf des Mindeshaltbarkeitsdatums (MHD) steht und so zum Schnäppchenpreis angeboten werden kann.

20 bis 30 Prozent günstiger könnten sie die Waren so bekommen, erläutert ihnen einer ihrer Gesprächspartner. Ware, die ganz besonders kurz vor Ablauf des MHD stehen würde, wäre sogar noch günstiger.

Ein Besuch bei einem Restpostenhändler räumt letzte Zweifel aus: Aus dem Handel mit beinahe abgelaufener Ware ist ein prosperierender Wirtschaftszweig geworden, aus dem Wettbewerb um günstigte Rohware für Schulkantinen und Großküchen ein hartes Geschäft.

Politik weiß keinen Rat

Mit den neuen Erkenntnissen wendet sich das Team Wallraff schließlich an Christian Schmidt, den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Der erklärt im Interview, warum der Bund bis heute nur freiwillige Qualitätsstandards vorgeben kann. Skeptisch äußert er sich zu der schon häufiger gestellten Forderung, den Steuersatz für Schulessen von 19 auf 7 Prozent wie z.B. beim Tierfutter zu senken: "Wenn wir die Steuer nur reduzieren bei denen, die das gewerblich machen, ist die Frage, ob dann nicht noch billiger produziert wird, überhaupt nicht beantwortet."

Immerhin will der Bundesminister die RTL-Recherchen zum Anlass nehmen, die Fragen rund um einheitliche Qualitätsstandards noch einmal im Kreis der Länderkollegen zu besprechen.

Wallraff hat in dieses Mal vieles richtig gemacht. Im Gegensatz zu früheren Sendungen hat er nicht bloß aufgedeckt, sondern danach auch die richtigen Fragen gestellt. Trotzdem bleibt am Ende der Sendung ein großes Fragezeichen. Der harte Wettbewerb auf dem Cateringmarkt scheint einen Kostendruck zu erzeugen, dem die Großküchen nur mit dem Ankauf minderwertiger Ware und der Senkung sonstiger Produktionskosten begegnen können. Für die Großhändler ist er ein Segen, finden sich so nun Abnehmer für Waren, die früher wohl an die Tafel gegangen wären.

Wie also soll man diesen Missständen begegnen, wenn nicht einmal der Ernährungsminister Rat weiß? Die Beantwortung dieser Frage liegt nun bei der Politik. Wallraff kann nur der sein, der die Verantwortlichen auf ihre Aufgaben aufmerksam gemacht hat.

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