TV-Reportage Ein Iraner im Nazidorf

Jamel · Michel Abdollahi hat vier Wochen im Dorf Jamel verbracht, einer rechtsextremen Hochburg in Mecklenburg-Vorpommern. Vor der Kamera wollten die meisten Einwohner nicht mit dem iranischstämmigen Reporter reden - entstanden ist trotzdem eine beeindruckende Doku über braune Abgründe der Provinz.

 Michel Abdollahi hat zum Grillfest eingeladen — der einzige, der kommt, ist Sven Krüger, vorbestrafter Nazi und inoffizieller Chef von Jamel.

Michel Abdollahi hat zum Grillfest eingeladen — der einzige, der kommt, ist Sven Krüger, vorbestrafter Nazi und inoffizieller Chef von Jamel.

Foto: Screenshot NDR

Mit dieser Bildungslücke hatte der Reporter nicht gerechnet. Im Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern steht ein Wegweiser, der unter anderem die Entfernung nach Braunau am Inn anzeigt. Und als Michel Abdollahi einen Dorfbewohner darauf anspricht, fragt der:
"Wer hat denn da gewohnt?"
- "Adolf Hitler."
- "Den kenne ich gar nicht."

Ein Iraner im Nazidorf
Foto: 523

Kurze Zeit später läuft der Mann auf einer Demo gegen Asylbewerberheime mit.

Vielleicht ist das die erschreckendste Szene der halbstündigen NDR-Reportage, in der kein Mangel herrscht an erschreckenden Szenen. Einen Monat lang hat Michel Abdollahi, 34, für das Investigativ-Magazin "Panorama" in Jamel gewohnt, einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, das von Neonazis dominiert wird. Das Ergebnis ist nun auch in der Mediathek zu sehen.

Abdollahi, der als Fünfjähriger mit seinen Eltern von Teheran nach Deutschland kam, erfährt schon am Anfang, dass er hier eigentlich nicht hingehört. Denn an eine Wand ist ein Bild gemalt, es zeigt eine Familie nach bestem NS-Arier-Ideal, "Dorfgemeinschaft Jamel — frei — sozial — national" steht dort.

Doch der Reporter will es versuchen, will mit den Bewohnern ins Gespräch kommen. Also lässt er ein typisch deutsches Gartenhaus auf der Wiese gegenüber dem Wandgemälde aufbauen und zieht dort für einen Monat ein. Und dann wartet er.

Einige Leute werden mit ihm sprechen, sie sind sogar freundlich, sagt Abdollahi, vor die Kamera aber wagen sich nur die wenigsten. Das hat auch einen Grund: Wer es tut, blamiert sich.

Protagonist seines Films wird Sven Krüger. Er ist der Chef im Ort, NPD-Politiker, verurteilt wegen Hehlerei, Körperverletzung, Waffenbesitz — und bisweilen erschreckend sympathisch, wie auch der Reporter feststellt. Nach kurzer Zeit bietet ihm Krüger das "Du" an, sie pflegen bald einen beinahe lockeren Umgang, denn auch Abdollahi bleibt freundlich. Doch sobald Krüger den Mund öffnet, entlarvt er sich. Am Braunau-Wegweiser kann er nichts Schlechtes finden. Ob er sich als Neonazi sieht? "Das kommt darauf an, wie man den Begriff definiert." Doch es gibt auch Momente der Selbsterkenntnis: "Wenn man sie wirklich kennenlernt, kann man sie nicht hassen", sagt er über Flüchtlinge. Es ist ihm anzumerken, dass ihm die zusätzliche Aufmerksamkeit gefällt.

Auch bei anderen Leuten, die vor die Kamera treten, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen.
"Wer in der NPD ist, ist kein Nazi", sagt eine ältere Frau, während sie hinterm Zaun steht und der Hund bellt. Eine NPD-Politikerin fragt Abdollahi auf einer Demo in einem Nachbarort: "Gehöre ich auch nach Deutschland?"
- "Sie haben ein Recht, hier zu wohnen, aber Ihre Heimat ist wahrscheinlich woanders."
- "Wenn ich aber schon von Kind an hier lebe?"
- "Das ist ein Fehler Ihrer Eltern, denn Ihre Eltern haben Sie entwurzelt."

Udo Pastörs, NPD-Abgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern, empfängt ihn in seinem Büro im Schweriner Schloss.
- "Ist es in Ordnung, dass ich hier in Deutschland lebe?"
- "Das kommt auf den Rechtsstatus an. Wenn Sie legal hier sind, ist das formal in Ordnung."
Was ist mit dem Wegweiser in Jamel?
- "Wie ich dazu stehe, ist Geschmackssache."
- "Hitler ist doch keine Geschmackssache."
Abdollahi ist ein freundlicher Mensch, geht aber keiner Diskussion aus dem Weg.

Es ist wichtig, dass der Reporter nicht nur in Jamel bleibt. Das zeigt sich besonders, als er bei einer Demo in Wismar Passanten befragt, was sie von Ausländern und Flüchtlingen halten. Einer sagt, die wollen angeblich nur Schuhe von Adidas und Puma tragen. Einer sagt, es sollen 750 Millionen kommen. Einer beschwert sich, dass Ausländer zu laut reden.

Gerade in solchen Passagen stößt Abdollahi den Gedanken an: Was ist, wenn die Nazis bloß die extreme Ausformung einer viel weiter verbreiteten Haltung vertreten, die gegenüber dem Fremden erst mal Vorbehalte hat? Erst kürzlich forderte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer via Facebook von den Flüchtlingen, sich nicht nur an deutsche Gesetze zu halten, sondern auch an die deutsche Leitkultur. Von der Haltung "Die Leute dürfen nur hierhin, wenn sie so werden wie wir" ist es nicht weit bis "Die Leute dürfen nicht hierhin, weil sie nie so werden wie wir". Abdollahi selbst sagt: "Die rechte Gesinnung ist nicht auf Jamel beschränkt, nur hier wird sie offen zur Schau gestellt." Fremdenfeindlichkeit fängt viel früher an, als uns lieb ist.

Am Ende des Films setzt der Reporter dem Bild der arischen Familie ein anderes Bild entgegen, eine Familie mit einem dunkelhäutigen Kind, daneben Artikel 1 des Grundgesetzes. Er lässt es an der Außenwand seiner Hütte befestigen. Nachdem er abgereist ist, schickt Nazi Sven Krüger ihm ein Foto. Das Kind ist nicht mehr zu sehen. Jemand hat zwei Mülltonnen davorgestellt.

(seda)
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