Grenzen der Satire Das Prinzip Jan Böhmermann

Köln · Am heutigen Freitag erhält der Moderator für seine Varoufakis-Satire den Grimme-Preis, auch wenn er selbst nicht zur Verleihung kommt. Zugleich wird nach seinem Schmähgedicht der Vorwurf der Beleidigung geprüft. Ehrung und Ächtung – passt das zusammen?

Grimme-Preis 2024 Gewinner: Das sind die Preisträger
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Das sind die Grimme-Preisträger 2024

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Foto: dpa/Fabian Strauch

Am heutigen Freitag erhält der Moderator für seine Varoufakis-Satire den Grimme-Preis, auch wenn er selbst nicht zur Verleihung kommt. Zugleich wird nach seinem Schmähgedicht der Vorwurf der Beleidigung geprüft. Ehrung und Ächtung — passt das zusammen?

Mit der Ironie ist das so eine Sache. Manche verstehen sie nicht, andere wollen sie nicht verstehen. Weil aber Ironie ein Stilmittel der Satire ist, hat diese in Grenzfällen ein Akzeptanzproblem: Sie wird schnell als verletzend, entwürdigend oder beleidigend empfunden. Letzteres wird nun Jan Böhmermann unterstellt, dem, das darf man wohl sagen, Chef-Satiriker des ZDF. Nach seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan ermittelt die Staatsanwaltschaft Mainz gegen den 35-Jährigen wegen des Verdachts auf Beleidigung eines Staatsoberhauptes. Auch Anzeigen gegen Verantwortliche des ZDF werden geprüft. Das mögliche Strafmaß für Böhmermann: drei Jahre Haft.

Erstmal aber wird der Beschuldigte ausgezeichnet. Am heutigen Freitag ehrt ihn das Grimme-Institut in Marl mit einem Preis für seine Mediensatire um den Stinkefinger des ehemaligen griechischem Finanzministers Varoufakis. Abholen will er den Preis aber nicht persönlich. "Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe", schrieb er auf Facebook. Deshalb bitte er um Verständnis, nicht in Marl feiern zu können, erklärte Böhmermann.

Böhmermann hatte in seiner Show "Neo Magazin Royale" behauptet, ein von Günther Jauch gezeigtes Video, in dem Varoufakis den Finger zeigt, sei von ihm manipuliert worden. Für eine Nacht bebte die Medienrepublik. Bis das ZDF erklärte, die Show sei Satire. Begründung der Grimme-Jury: Böhmermann habe die Inszenierungsmechanismen der Boulevardindustrie entlarvt, und ihm gebühre der Verdienst einer großen Medienkritik. Anzeige und Ehrung — wie passt das zusammen?

Im Falle von Böhmermann sehr gut. Der gebürtige Bremer befindet sich nicht nur stets auf Augenhöhe mit dem Zeitgeist, er versteht es auch wie kein Zweiter, den Aggregatzustand der sozialen Netzwerke auszuloten und sich in der permanenten Erregungshysterie Gehör zu verschaffen. Ob mit dem Rap-Video "Ich hab Polizei" oder einem Musikclip im Rammstein-Stil, in dem er Fremdenfeindlichkeit anprangert, ob mit dem Varoufakis-Beitrag oder als "Adi" Hitler, die Nation hört hin.

Bereits 2009 gründete er für das RTL-Format "TV Helden" den vermeintlich "Ersten Türkischen Karnevalsverein Deutschlands" und forderte als angeblicher Vorsitzender Davut Yilmaz eine "Türkenquote" beim Rosenmontagszug. Und alle glaubten ihm, einen Tag lang. Böhmermann provoziert, ja, er überschreitet Grenzen, das auch — aber er verliert sein Ziel dabei selten aus den Augen. Nur liegt er manchmal knapp daneben.

Mit dem als "Schmähkritik" überschriebenen Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan soll das geschehen sein. "Bewusst verletzend" nannte Kanzlerin Merkel den Text, der tatsächlich übelste und absurde Verunglimpfungen aneinanderreiht, das ZDF nahm den Beitrag wegen qualitativer Mängel aus der Mediathek. Böhmermann selbst soll das Kanzleramt um Hilfe gebeten haben. Große Aufregung allerorten.

Satire darf nicht alles

Dabei hatte Böhmermann sein Gedicht vor dem Vortrag eingebettet. Nach Erdogans Reaktion auf einen spöttischen Beitrag in der NDR-Satiresendung "Extra 3" — er hatte den deutschen Botschafter einbestellen lassen — erklärte Böhmermann, er wolle zeigen, wie weit Satire gehen dürfe und was verboten sei. Und trug seine Verse vor, beteuernd, dass er so etwas niemals öffentlich sagen dürfte. Wohlwissend, welche Reaktionen folgen würden: Sein, nennen wir es mal ironisches, Kalkül ist damit aufgegangen.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht 1990 in einem wegweisenden Urteil die Schmähkritik dann als erbracht definiert, wenn "nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht". Zu Recht, muss die Würde des Menschen doch unantastbar bleiben. Die Satire darf eben nicht alles, wie es Tucholsky in seinem berühmten Satz proklamierte, nur fast alles — diese Grenze hat das Gericht eingezogen.

Aber was darf die Satire denn nun? "In der Satyre wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt", schrieb Schiller 1795. Die Satire will also Missstände anprangern, sie will aber auch, dass sich die Dinge verbessern. Oder Personen, die für diese Dinge verantwortlich sind. Denn zum Wesen der Satire gehört auch, dass sie sich an einem —angemessenen — Feind abarbeitet. Nicht an der Person, sondern an dem, für das sie steht. Und dabei, sagt wiederum Tucholsky, muss sie "übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht".

Anzeigen von Privatpersonen

Zurück zu Böhmermann. Sein Prinzip ist der durchdachte Tabubruch. L'art pour l'art ist seine Sache nicht. Ihm geht es deshalb wohl auch nicht darum, Erdogan zu schmähen. Sondern darum, eine Grenze zu überschreiten, um zu zeigen, dass es sie gibt und dass sie subjektiv auslegbar ist. Darum, dass man nicht nur in der Türkei, sondern auch hierzulande trefflich über Meinungsfreiheit streiten kann. Und als netzaffinem Entertainer vielleicht auch darum, seiner Gemeinde zu demonstrieren, dass diffamierendes Pöbeln strafrechtlich verfolgt werden kann. Was nicht schaden kann. Wir notieren: Missstände, moralisches Ideal, Feind — handelt es sich doch um Satire? Dass Böhmermann auch ganz profan um Aufmerksamkeit buhlt: geschenkt.

Ob es zu einer Anklage kommt, ist ungewiss. Bisher liegen nur Anzeigen von Privatpersonen vor, die türkische Regierung müsste ein Strafverlangen vorlegen und die Bundesregierung einer Strafverfolgung zustimmen.

"Sollte ich bei der gebührenfinanzierten Erfüllung meines pädagogischen Auftrags die Gefühle eines lupenreinen Demokraten verletzt haben, bitte ich ergebenst um Verzeihung", entschuldigte er sich ironisch. Auch das gehört zum Prinzip Böhmermann: Bleibe stets in der Rolle. Und dass ein blasser, dünner Junge aus Deutschland, wie er sich selbst nennt, den demokratiefeindlichen Präsidenten der Türkei in eine Debatte um die Freiheit der Rede verwickelt, entbehrt am Ende nicht einer gewissen Ironie.

(RP)
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