Dagmar Berghoff "Das Vorsprechen verlief hakelig"

Hamburg · Vor 40 Jahren, am 16. Juni 1976, las Dagmar Berghoff zum ersten Mal die Nachrichten in der "Tagesschau". Im Interview erinnert sie sich an ihre Anfänge.

 Dagmar Berghoff las im Juni 1976 erstmals die Nachrichten im Ersten. Sie war die erste Frau in dieser Position.

Dagmar Berghoff las im Juni 1976 erstmals die Nachrichten im Ersten. Sie war die erste Frau in dieser Position.

Foto: dpa

Über 23 Jahre war sie "Mrs. Tagesschau", bis sie an Silvester 1999 ihre letzte Sendung hatte: Dagmar Berghoff. Die heute 73-Jährige war die erste Frau, die im deutschen Fernsehen die Nachrichten vorgetragen hat. Im Interview spricht sie über die Veränderungen im Nachrichtengeschäft.

Woran lag es, dass Nachrichten vor 40 Jahren ein reines Männergeschäft waren?

Dagmar Berghoff Ja, das war wirklich ein Männerspektakel. Das lag sicher auch daran, dass der damalige Chefsprecher Karlheinz Köpcke fand, dass Frauen keine Nachrichten sprechen können. Weil sie bei Unglücken in Tränen ausbrechen, weil sie beim Sport Schalke 05 sagen oder weil sie von Politik und von Wirtschaft keine Ahnung haben.

Wie sind Sie zur "Tagesschau" gekommen?

Berghoff Herr Köpcke war von der Chefredaktion angewiesen worden, eine Sprecherin zu suchen. Ich moderierte gerade eine Radiosendung im NDR und war vorher fünf Jahre lang die Hauptansagerin beim SWR gewesen. Da rief Herr Köpcke eines Tages im Sender an und sagte: "Sie haben ja wirklich eine nette Stimme, aber sehen Sie auch einigermaßen aus?" Da war ich schon etwas konsterniert. Das Vorsprechen verlief ein bisschen hakelig. Er hatte mir sein Manuskript gegeben, und das war vollgeschrieben mit vielen Strichen. Sprecher machen Zeichen in ihr Manuskript, wann sie Luft holen müssen und so weiter. Ich habe mich einmal versprochen und ihm gesagt, wenn wir das noch einmal machen, möchte ich ein eigenes Manuskript haben. Zwei Wochen später war ich auf Sendung.

Und das dann über 23 Jahre lang. Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Berghoff Es ist alles viel hektischer und schnelllebiger geworden. Es gibt heute über den Tag viel mehr Ausgaben der "Tagesschau". Die Sprecher sehen sich untereinander kaum noch.

Ist der Medienbetrieb auch dadurch hektischer, dass heutzutage jeder meint, er könne Nachrichten verbreiten, über Twitter und Co?

Berghoff Bei der "Tagesschau" ist das Kriterium nicht, dass sie als Erste eine Nachricht rausbringt. Sondern dass seriös recherchiert wurde und eine Nachricht zwei-bis dreimal gecheckt wurde. Erst dann geht sie raus. Das ist übrigens die Haupttugend, die junge Journalisten heute haben sollten: Sie müssen seriös und gründlich recherchieren.

Haben Sie dann auf eigenen Wunsch bei der "Tagesschau" aufgehört?

Berghoff Als ich 50 wurde, fragten mich viele, wann ich denn nun aufhören würde. Das war eine Kränkung, denn Uli Wickert, nur einen Monat älter als ich, fragte niemand, wann er denn aufhören würde. Und ich als Frau wurde gefragt. Ich habe dann gedacht, ich muss mir eine witzige Antwort überlegen und angekündigt, dass ich nach der letzten Sendung im alten Jahrtausend aufhören wollte. Das habe ich dann tatsächlich so gemacht, vor allem, weil ich mehr Zeit mit meinem Mann verbringen wollte. Schön war dann, dass der Fernsehdirektor mich doch noch bat weiterzumachen.

Kurz nach ihrem Ausscheiden ist Ihr Mann schwer erkrankt ...

Berghoff Ja, nach einem halben Jahr kam die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dann hatten wir noch sieben Monate. Und insofern kann ich nur sagen, im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, denn ich konnte voll für ihn da sein.

Was tröstet Sie in schwierigen Situationen, wie etwa nach dem Tod Ihres Mannes?

Berghoff Ich habe gelernt, dass die Zeit dein großer Freund ist. Jeder Tag, der vergeht, jede Woche, die vergeht, jeder Monat, der vergeht, hilft dir. Zwischendurch musst du alles erleben, was es zu erleben gilt, und am besten schwimmst du dabei auf der Trauerwelle mit. Und nach und nach breitet die Zeit Balsamtücher über die Wunden.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort