TV-Kritik Anne Will Eine Frau aus Syrien rechnet mit Deutschland ab

Düsseldorf · Anne Will lässt erneut über die Misere der Flüchtlinge diskutieren. Drei Politiker bemühen altbekannte Argumente. Bis ihnen eine aus Syrien geflüchtete Frau zeigt, wie scheinheilig die Diskussion in Wahrheit verläuft.

 Maya Alkhechen wirft der Politik vor, vier Jahre lang die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen zu haben.

Maya Alkhechen wirft der Politik vor, vier Jahre lang die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen zu haben.

Foto: Screenshot ARD

"Zeltstädte, Stimmungsmache, Brandanschläge — sieht so Willkommenskultur in Deutschland aus?", fragt Anne Will am späten Mittwochabend. Erneut sind Flüchtlinge ihr Talk-Thema.

Mit dabei sind prominente Politiker. Monika Hohlmeier (CSU), die vorgibt, Probleme beim Namen zu nennen und sich darüber beklagt, dafür vorschnell in die rechtsextreme Ecke gestellt zu werden. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der beobachtet hat, wie in diesen Tagen "aus Worten Brandsätze werden". NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), der sich "ehrlich machen will" und ebenfalls eine extrem vorsichtige Wortwahl anmahnt, um ausländerfeindlichen Stimmungen nicht den Boden zu bereiten.

Ramelow redet sich in eine Falle

Mit gutem Grund. Im Netz schaukeln sich schon seit Monaten rassistische Hetzer gegenseitig hoch. Und einer Halbjahresbilanz von 200 Angriffen auf Asylbewerberheime in Deutschland. Doch wie schwierig es ist, sich auf ein verantwortungsvolles Vokabular zu begrenzen, erlebt ausgerechnet Ramelow direkt während des Talks bei Anne Will.

"Ja, wir werden überrannt", stellt er zu Beginn fest und beschreibt die Flüchtlingskrise als neue Völkerwanderung. Direkt im Anschluss bemerkt Jäger maliziös: "Ich glaube nicht, dass wir überrannt werden. Ich halte von solchen Vokabeln nichts." Ramelow sieht alt aus in diesem Moment.

Später wird es aber auch für Jäger unangenehm. Will fragt ihn nach seiner Haltung zur größten Schande der europäischen Flüchtlingspolitik, dem Massengrab im Mittelmeer. Sie will wissen, ob Deutschland nicht legale Wege zur Einwanderung aufzeigen muss, anstatt Menschen erst dann einen Asylantrag zu ermöglichen, wenn sie deutschen Boden betreten haben.

Sind alle Flüchtlinge gleich?

Jäger laviert. Er sei kein Experte für europäische Flüchtlingsfragen. Als Innenminister will er nicht den Anschein erwecken, er wolle noch mehr Flüchtlinge ins Land holen. Manchmal endet das Vorhaben, doch bitte nicht mit Worten die Krise weiter anzuheizen, darin, gar nichts mehr zu sagen. Jäger zieht sich lieber auf sein Terrain zurück und fordert mehr Hilfen vom Bund. Diese Krise sei eine nationale Aufgabe.

Einen interessanten, weil radikal nicht-formalistischen Ansatz, wählt Anne Will gleich zu Beginn. Ob man denn zwischen guten und schlechten Flüchtlingen unterscheiden dürfe. Das Anrecht auf politisches Asyl und Flucht aus wirtschaftlicher Not auf Augenhöhe. Gemeint sind im konkreten Fall die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten und autoritären Staaten, die ein Anrecht, zumindest die Chance auf Asyl haben. Und die Flüchtlinge aus den Balkanländern, die aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland kommen.

Alle Politiker sind sich einig, dass die Asylverfahren dringend beschleunigt werden müssen. "Diesen Menschen müssen wir ehrlich sagen, woran sie bei uns sind", sagt Jäger. Konsens besteht auch darin, dass man nicht von Flüchtlingen erster und zweiter Klasse sprechen kann.

Maya Alkhechen floh über das Mittelmeer

Monika Hohlmeier aber ist es, die dennoch ihre Wortwahl vom "massenhaften Asylmissbrauch" verteidigt. Sie verweist dazu auf vernichtete oder gar gefälschte Pässe, erfundene Identitäten und bis zu "150.000 bewusst gefälschte Asylanträge." Auch deswegen müsse Europa mit aller Härte gegen Schleuserbanden vorgehen.

Dann schlägt die Stunde von Maya Alkhechen, einer Frau, die mit ihren kleinen Kindern aus Syrien über das Mittelmeer nach Deutschland geflüchtet ist, weil es keinen legalen Weg gab, der Not zu entkommen. Im Fernsehen ist sie keine Unbekannte, schon bei Günther Jauch erzählte die in Deutschland aufgewachsene Syrerin vor einigen Monaten von ihrem aufrüttelnden Schicksal. Ihr Auftritt wurde dabei allerdings wenig beachtet, weil der "Sea-Watch"-Aktivist Harald Höppner mit seiner Forderung nach einer spontanen Schweigeminute einen Eklat ausgelöst hatte.

Der Politik macht sie schwere Vorwürfe

Bei Anne Will erzählt sie nun wieder ihre Geschichte und öffnet so manchem die Augen, wie wirklichkeitsfremd die Debatten in Deutschland bisweilen verlaufen. Den Schleppern sei sie dankbar, sie nach Europa gebracht zu haben. Für Hohlmeiers Hinweise auf illegale Einreise-Methoden, hat sie nur Verachtung übrig. "Gefälschte Pässe sind mir dann doch egal, Hauptsache ich komme da raus. Ich habe Angst um meine Kinder, ich habe Angst, dass sie vor Hunger sterben", verdeutlicht sie in klaren Worten, was die Menschen zur bedingungslosen Flucht antreibt. Ob mit Anrecht auf Asyl oder nicht, spielt für sie dabei überhaupt keine Rolle.

Bemerkenswert ein Aspekt, der zum Ende der Sendung anklingt: Während die Medien überwiegend über Hass und Hetze gegen Flüchtlinge berichten, schlägt ihnen gleichzeitig eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegen. Anne Will fragt daher: Unterschätzt die Politik die Deutschen, wenn sie sagt, man dürfe die Menschen nicht überfordern?

Abermals ist es Maya Alkhechen, die Klartext redet. Die Deutschen seien viel offener geworden, Ausländerfeindlichkeit kennt sie in ihrem neuen Leben in Essen nicht mehr. Gemessen an seiner Leistungsfähigkeit kann Deutschland aus ihrer Sicht noch viel, viel mehr Flüchtlinge aufnehmen. Der Politik macht sie schwere Vorwürfe: "Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit vier Jahren. Vier Jahre lang hat man daran gearbeitet, die Außengrenzen abzuschotten, aber nicht daran, hier etwas zu machen, für die Leute, die kommen."

(pst)
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