TV-Talk mit Anne Will Trump und die "Wutbürger im Kaschmir-Jackett"

Düsseldorf · Bei Anne Will herrschte große Einigkeit darüber, dass Trump als Präsident der USA eigentlich untragbar ist. Warum ihn dennoch viele Amerikaner wählen werden und weshalb das deutsche Politikverständnis ein anderes ist als in den USA, wurde ausgiebig diskutiert.

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Foto: AP/Andrew Harnik

Darum ging's: Eines der meistbeachteten Duelle in der Geschichte der Präsidentschaftswahlen in den USA geht in die heiße Phase. Auch in Deutschland blickt man gespannt auf die Aufholjagd des republikanischen Kandidaten Donald Trump. Kurz vor dem ersten TV-Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump fragt Anne Will: Warum ist Trump so erfolgreich? Verliert Clinton weiter an Zuspruch? Sind im US-Wahlkampf Emotionen wichtiger als Fakten?

Darum ging's wirklich: Ist Trump ein Lügner oder einfach jemand, der durch gekonnte Überspitzungen den Nerv der Wähler trifft und das ausspricht, was viele sich denken? Was muss Hillary Clinton tun, um im Rennen um das Weiße Haus für sich zu entscheiden. Und was betrifft der US-Wahlkampf uns Europäer?

  • Thomas Gottschalk, Fernsehmoderator
  • Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments

  • Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im saarländischen Landtag

  • Constanze Stelzenmüller, Brookings Institution Washington D.C.

  • Roger Johnson, Amerikaner und Trump-Unterstützer

Der Frontverlauf:

Geschätzt 100 Millionen Zuschauer werden in der Nacht von Montag auf Dienstag Zeuge des ersten direkten TV-Duells zwischen den beiden US-Präsidentschaftkandidaten Donald Trump und Hillary Clinton sein. Anne Will nahm dies zum Anlass, die Frage zu stellen, die derzeit auch viele Deutsche umtreibt: "Wie bekloppt sind die Amerikaner, dass es inzwischen vorstellbar scheint, dass Trump gewählt wird?"

Ex-"Wetten, dass…"-Moderator Thomas Gottschalk, der seit Beginn der 1990er Jahre in den USA lebt, versuchte sich als erster Gast der Talk-Runde an einer Erklärung. Er gehe davon aus, "dass die Amerikaner - anders als wir - die Bedrohung nicht erkennen". Angst, dass der Kandidat der Konservativen tatsächlich ins Weiße Haus einzieht, habe er bei den Amerikanern nämlich nicht verspürt. Im Gegenteil. "Sie finden diese 'Ich bringe Leben in die Bude'-Einstellung gut", sagt Gottschalk.

Vom Republikaner und US-Bürger Roger Johnson, der seit mehreren Jahrzehnten in Europa lebt, wollte Anne Will wissen, ob dieser Trump denn nun mit Überzeugung oder Bauchschmerzen wählen wird. Schließlich sei der Immobilienmilliardär Trump auch nicht Johnsons erste Wahl unter den republikanischen Kandidaten gewesen. "Ich musste lange überlegen, ob ich Trump unterstützen kann", gab Johnson zu. Doch letztlich habe die Alternative den Ausschlag pro Trump gegeben. Denn sollte Clinton zur US-Präsidentin gewählt werden, wäre dies "eine Riesenkatastrophe" für die USA, unkte der Talk-Gast. Wie viele Republikaner gibt er Clinton die Schuld am Emporkommen des Islamischen Staats (IS).

Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, gab zu bedenken, dass das "Phänomen Trump" kein rein amerikanisches sei. Er nannte die AfD in Deutschland und Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Front National (FN) in Frankreich, als europäische Beispiele. Schulz hoffe darauf, dass Clinton die Wahl gewinnen wird und somit "nicht der Bauch, sondern die Vernunft".

Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik "Brookings Institution" mit Sitz in Washington schlug vor, die Ängste und Sorgen der Amerikaner besser ernstzunehmen. Viele würden sich vom Staat vernachlässigt fühlen, sagte sie. Warum allerdings die "Wutbürger im Cashmere-Jackett", denen es eigentlich gut ginge, ebenfalls auf den Trump-Zug aufspringen würden, konnte auch sie nicht erklären.

Oscar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken im Saarländischen Landtag, sagte, dass er große Schwierigkeiten hätte, sich für einen der beiden Kandidaten zu entscheiden. Schließlich habe "Frau Clinton nicht nur kleine Fehler, sie hat erhebliche Fehler." Auf die Frage, was Clinton im TV-Duell tun könne, schlägt er vor, dass sie ja "die Frauenkarte ziehen" könne. Soweit, so belanglos.

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Das spannendste an der Sendung war der Einspieler zu Donald Trump und seinem Verhältnis zur Wahrheit. In dem Bericht wurden mehrere von Trump aufgestellten Thesen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. So sagte der Präsidentschaftskandidat unter anderem, dass Barack Obama Begründer der Terrormiliz Islamischer Staat sei, die Arbeitslosenquote in den USA bei etwa 42 Prozent liege, mexikanische Einwanderer Drogen und Kriminalität bringen würden und er sich stets gegen den Irak-Krieg geäußert habe.

Ein Faktencheck bestätigt die Vermutung: Keine der getätigten Aussagen sind statistisch belegbar. Die Arbeitslosenquote in den USA liegt bei etwa 4,9 Prozent, Einwanderer sind nicht krimineller als der durschnittliche US-Bürger und in einem Interview von 2002 hatte sich Trump noch als großer Befürworter des Irak-Kriegs zitieren lassen. Von der Behauptung, Obama hätte die Terrormiliz gegründet, ganz zu schweigen. Der Rechercheverbund Politifact hat insgesamt 100 Aussagen Trumps auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Das Ergebnis: etwa Dreiviertel der Aussagen von Trump sind nicht korrekt.

Thomas Gottschalk sieht in Trump deshalb auch mehr einen Entertainer als Politiker. Ein US-Präsident Trump? Das wäre in etwa so "wie Dieter Bohlen als Gauck-Nachfolger", sagte der TV-Moderator.

Spruch des Tages: "Der Typ ist eine Gefahr." (Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, über Donald Trump)

(sb)
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