Anne Will diskutiert soziale Gerechtigkeit "Verschwörungs-Theoretiker wie Trump und Wagenknecht"

Düsseldorf · Gerecht oder ungerecht? SPD und Linke streiten bei Anne Will heftig darüber, wer mehr Gleichgewicht und Zufriedenheit ins Land bringt. NRW-Ministerpräsident und CDU-Mann Armin Laschet hat leichtes Spiel.

Darum ging's

Soziale Gerechtigkeit ist laut Anne Will ein Wahlkampfthema, auf das sich die linken Parteien einigen können. Drei Politiker und zwei Wählerinnen sollen diskutieren, ob es in Deutschland gerecht oder ungerecht zugeht. Die Runde soll debattieren, ob Linke und SPD mit ihren Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit das Land zu düster darstellen oder ob vielmehr die Union Sorgen der Bürger und Ungleichheit gezielt ausblendet?

Darum ging's wirklich

Sehr einig klingen SPD und Linke im Gespräch über soziale Gerechtigkeit nicht. Zum Gespräch darüber, ob Rot-Rot die soziale Landschaft zu schwarz malt, kommt es kaum. Stattdessen liefern sich Sahra Wagenknecht (Linke) und Olaf Scholz (SPD) verbissene Wortgefechte. CDU-Mann Armin Laschet verbringt einen weitgehend ruhigen Abend und schaut zu, wie die anderen sich anfeinden.

Die Gäste

  • Olaf Scholz, SPD, Erster Bürgermeister von Hamburg
  • Armin Laschet, CDU, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
  • Sahra Wagenknecht, Linke, Fraktionsvorsitzende im Bundestag
  • Maurike Maaßen, Verkäuferin und ehemaliges SPD-Mitglied
  • Katja Lorenz, alleinerziehende Mutter auf Wohnungssuche

Frontverlauf

Zunächst will Anne Will darüber diskutieren lassen, ob Kanzlerkandidat Martin Schulz das Land unnötig schlecht redet, wenn er sich dem Kampf gegen soziales Unrecht verschreibt. Hamburgs SPD-Bürgermeister Scholz und CDU-Mann Armin Laschet sind sich einig, dass das nicht der Fall ist. Es gebe dort eher ein Wahrnehmungsproblem. Dass Deutschland wirtschaftlich stark dastehe, daran habe ja auch die SPD einen Anteil, betont Scholz, aber es gehe eben nicht aus jeder Perspektive gerecht zu. Wagenknecht kritisiert, vielleicht seien 60 Prozent der Bevölkerung zufrieden, doch die 40 Prozent im unteren Lohnbereich litten, auch unter sinkenden Einkommen und Kitagebühren.

Hat Zufriedenheit Hochkonjunktur?

Anne Will zitiert eine Statistik der Uni Leipzig, nach der nur acht Prozent der Deutschen mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage nicht zufrieden seien. So einen Rekordniedrigwert habe es seit der Wiedervereinigung nicht gegeben. Sahra Wagenknecht bezweifelt diese Umfrage. Ihrer Ansicht nach hätten Menschen einfach Scheu zuzugeben, wenn es ihnen schlecht gehe, weil sie fürchteten von anderen als Versager bezeichnet zu werden. Sie zitiert Umfragen, nach denen über 70 Prozent der Bürger fänden, es gehe ungerecht zu.

Wer über die hohe Beschäftigungsquote schwärme, müsse auch darüber reden, "was für Arbeitsplätze wir da meinen", sagt die Linke und beklagt "Minijobs ohne Perspektive". Heute sei "die Armutsquote so hoch wie nie zuvor, da passt doch was nicht zusammen" Ihrer Ansicht nach habe sich die Ungleichheit eher vergrößert.

Sie kritisiert, die SPD habe den Niedrigslohnsektor eingeführt und sei schon lange keine Partei mehr, die sich ihrer sozialdemokratischen Werte erinnere. Deshalb liefen ihr die Wähler davon, und deshalb sei auch mit der SPD keine Koalition mehr möglich. Auf jeden Fall nicht, solange die SPD den Kurs weiterführe, den sie mit Altkanzler Gerhard Schröder eingeschlagen habe. Als Schulz antrat, hätte sie anfangs die Hoffnung gehabt, er würde die SPD auf einen "klassisch sozialen Kurs" zurückführen und auf soziale Sicherheit, bessere Renten setzen. Jetzt aber sei die SPD eher mitverantwortlich wenn Merkel ohne große Anstrengung ihre nächste Amtszeit bekomme.

Verschwörungstheroretiker wie Trump und Wagenknecht

Scholz entgegnet: "Es hilft ja nicht, wenn die einen sagen 'Alles ist in Ordnung', die anderen 'Alles ist ganz schlimm' — beides entspricht nicht der Wahrnehmung." Er schlägt vor, man müsse mal von den "Bösewichtbildern" weggehen und sich die Welt anschauen. Überall in der westlichen Welt gebe es das Problem, dass nicht alle gleichermaßen profitieren. Er kritisiert Politiker, die mit Negativbildern Stimmung machen als "Anhänger von Verschwörungstheorien wie Herr Trump in den USA und Frau Wagenknecht in Deutschland."

Auch später stichelt Scholz vor allem in Richtung Wagenknecht. Wenn mehr Wähler das Land so düster sähen wie die Linken und deren Programm für richtig hielten, lägen die in den Umfragen ja nicht bei sieben oder acht Prozent.

Immerhin nähern sich Scholz und Wagenknecht in einem Punkt doch an. Angesprochen auf den Mindestlohn und die Forderung von der Linken, diesen auf zwölf Euro zu erhöhen, sagt Scholz: "Ich finde, es muss in diese Richtung marschieren."

"Von der Linken bin ich noch nicht enttäuscht worden"

Die Kluft zwischen Scholz und Wagenknecht überbrückt auch Maurike Maaßen, Verkäuferin aus Essen, nicht. Eher im Gegenteil. Sie hat im Januar schon mal bei Anne Will mit Martin Schulz gesprochen. Die aktive Gewerkschafterin und ehemalige SPD-Wählerin ist von den Sozialdemokraten enttäuscht und den Linken beigetreten. Hartz IV nennt sie eine "eine grausame Realität" und wünscht sich mehr Taten als Versprechungen.

Olaf Scholz bemüht sich, er erklärt Betriebsverfassungen, spricht über allgemeinverbindliche Tarifverträge im Einzelhandel und Mindestlöhne und will Maurike Maaßen damit "einen Anknüpfungspunkt für Vertrauensbildung" geben. Überzeugen kann er sie nicht. Die Verkäuferin bleibt enttäuscht, hat allerdings auch für ihre neue Parteiliebe wenig Hoffnung: "Der einzige Unterschied zwischen der SPD und der Linken ist: Von der Linken bin ich noch nicht enttäuscht worden!"

Wohnungssuche per Talkschau

Auch Katja Lorenz, eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern aus Berlin-Köpenick, hat keine großen Hoffnungen auf Verbesserungen. Die Büroleiterin braucht ab Herbst eine günstigere Wohnung, um nicht einen "Zweit- oder Drittjob" annehmen zu müssen. Bezahlbaren Wohnraum findet sie allerdings nur außerhalb der Großstadt, wo sie wegen des Aufenthaltsbestimmungsrechts ihres getrennten Mannes nicht hin darf.

Als Will Laschet fragt, ob er der Frau helfen könne, weicht der aus, Regionen und Städte operierten in Deutschland da ganz verschieden, und die "Mietpreisbremse funktioniere nun mal nicht". Katja Lorenz sagt, ihr könnte nur der Bau von mehr Sozialwohnungen in Berlin helfen.

Das gibt wiederum Scholz Anlass, seine eigenen Verdienste in Hamburg zu loben, wo seit seinem Amtsantritt 48.000 Wohnungen fertiggestellt worden seien. Zudem hätte Hamburg mit 114 Sozialwohnungen pro Hunderttausend Einwohnern den höchsten Anteil im Land. Da das nun die in Berlin fest sitzende Lorenz nicht weiterbringt, versucht Anne Will ihr per TV-Schirm zu helfen und ruft Vermieter auf, sich zu melden, falls die eine Wohnung "für eine hochsympathische Frau im Raum Treptow-Köpenick haben".

(juju)
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