Anne-Will-Talk nach Niedersachsen-Wahl Frotzeleien zwischen Grünen und FDP

Düsseldorf · Offiziell beginnen die Sondierungsgespräche erst am Mittwoch. Inoffiziell werden schon längst Gespräche geführt - zum Beispiel bei Anne Will: FDP, CDU und Grüne haben im TV-Talk über Flüchtlingsnachzug, Kompromisse und gutes Benehmen diskutiert.

Darum ging's

Angela Merkel hat zu Sondierungsgesprächen erst nach der Landtagswahl in Niedersachsen eingeladen. Anne Will möchte in ihrer ARD-Talkshow aber jetzt schon wissen, wohin es geht. Sie fragt, ob sich Union, FDP und Grüne zu viel Zeit lassen, und will orten, welche politischen Ziele sie verbindet und wo es rote Linien gibt. Wills zusammenfassende Frage: Wird ab jetzt auch mal wieder Politik gemacht?

Darum ging's wirklich

Drei Politiker künftiger Regierungsparteien und ein Oppositioneller besprechen kurz die Niedersachsen-Wahl und und dann ausführlich, wie lang Jamaika-Sondierungen dauern dürfen. Zuletzt steigen sie sogar ein und fangen an, das Thema Flüchtlingspolitik zu verhandeln. Ein Politologe und Publizist warnt vor den "Fliehkräften", die Parteien und Koalition auseinander treiben können.

Die Gäste

Frontverlauf

Nach einer kurzen Analyse der Niedersachsenwahl - das Endergebnis steht bis Sendeschluss noch nicht fest - diskutiert die Runde, wie schwer die Jamaika-Sondierungen im Bund werden dürften, und steigen zuletzt direkt in die Verhandlung über ein heikles Thema ein.

Zunächst aber wird das gute Abschneiden der SPD in Hannover besprochen. CDU-Mann Bouffier beglückwünscht Stephan Weil (SPD) und bestreitet, dass die Bundes-CDU ihren Kollegen in Niedersachsen die Wahl vermasselt habe. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagt, die klaren Worte seiner Partei nach der Bundestagswahl hätten den Kollegen in Niedersachsen geholfen. Das Ergebnis gebe der SPD einen Schub für den anstehenden Erneuerungsprozess.

Was bedeuten Signale aus Niedersachsen und Österreich?

FDP-Vize Kubicki vermutet, der Rechtsruck in Österreich werde die Jamaika-Verhandlungen im Bund stärker beeinflussen als die Niedersachsenwahl. Aus dem Wahlsieg der konservativen ÖVP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz könnte die Union folgern, "dass - wenn man sich aufstellt wie Herr Kurz in Österreich - man größere Mehrheiten organisieren könnte". Kurz hatte im Wahlkampf für Österreichs strengen Migrationskurs geworben, er will die illegale Zuwanderung auf Null begrenzen.

Daraus folgerte Kubicki mit Blick auf die Union: "Die werden sagen: Hätten wir uns so aufgestellt in der Flüchtlingspolitik, hätten wir in Bayern 58 Prozent bekommen und keine 38." In Sondierungs- und möglichen Koalitionsverhandlungen mit FDP und Grünen könne das zu Problemen führen.

Grünen-Chefin Göring-Eckhardt sagt, die Jamaika-Idee habe keinen Einfluss auf das Ergebnis in Niedersachsen gehabt. Es sei jedoch seltsam, dass es so lange dauere, die offiziellen Gespräche zu beginnen. Sie würde gerne "endlich mal anfangen zu reden". Bouffier zeigt sich geduldiger: Es wäre verrückt, "unsortiert" in eine solche Situation zu gehen. "Vier Jahre sind eine Ewigkeit", sagt der Hesse. Es sei vor allem wichtig, jetzt solide und vertrauensvoll zu verhandeln. Nichts sei schlimmer, als ein überstürzt verhandelter Koalitionsvertrag, der dann nicht funktioniere.

"Dadaistisch und absurd"

Politologe Albrecht von Lucke hat "enorme Zweifel", dass die Parteien erfolgreiche Koalitionsgespräche führen werden und nennt die Situation "dadaistisch und absurd". Vor allem die Grünen müssten sich in ein völlig anderes Lager bewegen, die SPD sei faktisch noch in der Regierung, mache aber schon auf Opposition.

Vor allem aber gebe es intern bei den künftigen Koalitionsparteien zu starke Konflikte. Dass es drei Wochen bis zum Start der Gespräche gedauert habe, hält der Publizist für völlig unerheblich. Wichtiger sei, dass es innerhalb der Parteien und später im Verbund solide Einigungen gebe. "Die Verhandlungen müssen so grundsätzlich sein, dass nicht nach Abschluss eines Koalitionsvertrages die Fliehkräfte so groß sind, dass das Ding schon nach einer Woche aus der Kurve fliegt."

Göring-Eckardt bestreitet, dass es in ihrer Partei Flügelkämpfe gebe. Die Klimaschutzfrage sei für sie elementar, "überlebenswichtig für den Planeten und die Menschheit". In sozialen Fragen seien die Grünen "mit Sicherheit eine linke Partei".

Wer bringt Kubickis Blutdruck nach oben?

Von Lucke kritisiert, die SPD stehle sich mit dem Gang in die Opposition aus der Verantwortung. Scholz hingegen verteidigt die Entscheidung als logische Folge des schlechten Wahlergebnisses. Außerdem, so sagt er, wäre eine Koalition aus CDU, SPD und CSU mit der AfD als Oppositionsführerin nicht zu ertragen gewesen. "Das hätte ein Parlament gegeben mit zwei populistischen Parteien, einer rechten und einer linken, und zwei distinktionsorientierten Parteien - einer für Besserwisser und einer für Besserverdiener." Scholz: "Das hätte keiner gemocht."

Dann zanken sich Kubicki und Göring-Eckardt um Umgangsformen und Begrifflichkeiten. Der FDP-Mann sagt: "Ich habe vor der Sendung Valium genommen, bin insofern etwas ruhiger als normal." Er regt sich dann aber doch über die Grünen-Politikerin auf: "Frau Göring-Eckardt ist der Planet schon wieder so wichtig." Er will sich auch nicht dafür entschuldigen, dass er zuletzt gesagt habe, Göring-Eckhardt treibe seinen Blutdruck nach oben.

"Es gibt eine ganze Reihe von Frauen, die freuen sich, wenn sie meinen Blutdruck erhöhen." Dann verspricht er noch, er werde nie wieder versuchen, der Grünen einen Handkuss zu geben - eine Filmeinspielung zeigt die Geste. Göring-Eckardt kontert, sie hätte gar nichts dagegen gehabt, sie käme aus einem Tanzlehrerhaushalt und könne mit derlei umgehen. Ehe der Streit weiter ausarten kann, versucht Bouffier zu schlichten: "Also jetzt seid mal nett miteinander."

Flüchtlinge - da geht es ans Eingemachte

Der CDU-Mann ist es schließlich auch, der die von Albrecht von Lucke befürchteten "Fliehkräfte" zu einer Diskussion über Inhalte zusammenbringt. Nicht Konsens sei das Ziel, sondern ein Kompromiss. Kompromisse seien in der Sache nicht schlecht, denn sie führten verschiedene Positionen zueinander, belehrt er.

Als Großthemen, die es zu besprechen gelte, nennt Bouffier "Klimawandel, Digitalisierung und den Zusammenhalt der Gesellschaft." Dafür müssten die vier Parteien gemeinsame Antworten finden. Anne Will möchte wissen, wie die Gesprächspartner beim kontroversen Thema "Familiennachzug für Flüchtlinge" zueinander finden sollten und bekommt unterschiedliche Antworten.

Göring-Eckardt erklärt, Integration sei zu schwer, wenn Familien von allein geflüchteten Männern nicht nachziehen dürften. Für die Grünen bleibe das eine zentrale Frage, mit ihnen würde die Aussetzung des Familiennachzugs im März 2018 auf keinen Fall verlängert.

Auch für die CDU ist der Nachzug eine zentrale Frage. "Da geht es ans Eingemachte", sagt Volker Bouffier. Den Nachzug habe man ja nicht ausgesetzt, um Menschen zu ärgern, es gehe vielmehr darum zu prüfen, wie viele neue Flüchtlinge die Gesellschaft ertragen könne. "Unser Herz ist weit, aber die Möglichkeiten begrenzt."

Kubicki sieht das anders: "Wir reden ja nicht über Hunderttausende, sondern über 70.000 Frauen und Kinder." Dass Kinder in unmenschlichen Lagern oder Kriegsgebieten lebten, sei für ihn nicht tragbar. "Wenn wir jene, die kein Bleiberecht haben, schneller abschieben würden, wären wir schon weiter", sagt der FDP-Vize. Als nächsten Schritt im Kompromiss sehe er, wenn man die Maghrebstaaten zu sicheren Herkunftsländer erkläre. Anne Will freut sich: "Das war ja immerhin ein erster Eindruck."

Zitat des Abends

"Ich habe vor der Sendung Valium genommen, insofern bin ich etwas ruhiger als normal." (Kubicki)

(juju)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort